• 1. August Special

Der Rütlischwur – Storytelling auf höchsten Niveau

Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern … Wir beleuchten die Entstehung des Gründungsmythos und verraten, wo man in der Zentralschweiz auf den Spuren der Geschichte wandeln kann.

Der Rütlischwur – Storytelling auf höchsten Niveau

Der Rütlischwur ist das wichtigste Ereignis der Schweizer Geschichte – und Fake News. Denn auf der Wiese am Vierwaldstättersee haben sich nie drei bärtige Urschweizer getroffen, um mit ihrem Bund die Eidgenossenschaft zu gründen. Den Rütlischwur hat es nie gegeben. Er ist eine Erfindung aus dem 15. und 16. Jahrhundert.

Die Entstehung der Legende

Die erste Erwähnung der verschworenen Urschweizer auf dem Rütli taucht im «Weissen Buch von Sarnen» aus dem Jahr 1470 auf, einer Sammlung von Kopien der wichtigsten Verträge und Bündnisse der Zeit.

Knapp 100 Jahre später dann feilt der ersten Schweizer Geschichtsschreiber Aegidius Tschudis weiter an der Story und gibt ihr den endgültigen Plot. In seiner «Chronicon Helveticum» (1550), dem ersten Schweizer Geschichtsbuch, erhalten auch die Protagonisten Werner Stauffacher, Walter Fürst und Arnold von Melchtal ihre Vornamen – wobei nur die ersten beiden als historische Personen gelten.

Zu Weltruhm verhalf der Schweizer Gründungslegende schliesslich der deutsche Dramatiker Friedrich Schiller. In seinem Werk Wilhelm Tell von 1804 wird der Rütlischwur und die Ereignisse um Wilhelm Tell (siehe auch unser Audio und Artikel über den Schweizer Nationalhelden) in pathetische Bilder gegossen. Von ihm stammen die salbungsvollen Zeilen des Schwurs, die man auch heute noch in der Schweiz rezitiert (siehe Video obenstehend).

Warum wurde der Rütlischwur erfunden?

Die Erfindung des Gründungsmythos fällt in eine Zeit, in der sich die Alte Eidgenossenschaft (mittlerweile war sie auf 13 Orte angewachsen) im Machtspiel der europäischen Politik behaupten musste.  Das Gebiet der heutigen Schweiz war Teil des Römischen Reichs Deutscher Nation – allerdings ausgestattet mit einigen Sonderrechten.   

Denn die Alte Eidgenossenschaft war zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einer europäischen Mittelmacht aufgestiegen, und einzelnen Gebieten und Städten war Reichsunmittelbarkeit zugesprochen worden. Heisst: Die Gebiete und Städte waren direkt dem Kaiser unterstellt und nicht einer lokalen Ordnungsmacht, wie sie die Habsburger in der Region lange ausübten.

Um 1500 wurde die Eidgenossenschaft dann zu einem immer festeren Gebilde, das auch von Aussen als Einheit wahrgenommen wurde. Allerdings durchaus nicht nur positiv, denn die Eidgenossen hatten ab dem 14. Jahrhundert verschiedene Gebiete erobert, die rechtmässig den Habsburgern zustanden (Sempach, Aargau, Thurgau).

Das war hart an der Grenze zu Legalität und es drohten durch den Kaiser Repressalien. Und den Eidgenossen lag viel daran, den Status Quo zu erhalten. 

Eine Rechtfertigung musste her

Am Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert wurde deshalb der Gründungs- und Freiheitsmythos, zu dem nebst dem Rütlischwur auch die Geschichte des Wilhelm Tell gehört, erfunden. Die Idee dahinter war simpel: Wen man einen Gründungsakt und einen Nationalhelden vorweisen konnte, die beide das Ergebnis eines Freiheitskampfes gegenüber den Habsburgern waren, so hoffte man, sein politischen Handeln zu rechtfertigen. 

Die Aussenwelt betrachtete die Eidgenossenschaft als unrechtmässig entstanden. Mit dem Befreiungsmythos baute man die Geschichte auf, die Ordnungsmacht der Habsburger hätte die Menschen unterdrückt, anstatt sie zu beschützen: Deswegen sei es legitim, wenn man die Angelegenheiten nun in die eigene Hand nähme. Dank dieser Propaganda konnte die Eidgenossenschaft den Makel der Illegitimität abschütteln. Der Plan ging übrigens auf: 1648 trat die Schweiz offiziell aus dem Römischen Reich Deutscher Nation aus und wurde ein souveränes Staatsgebilde.

Mit der Gründung der heutigen Schweiz im Jahr 1848 und der Suche nach einer nationalen Identität mussten sowohl Rütlischwur, Wilhelm Tell und der Bundesbrief von 1291 (siehe auch unser Video) ein weiteres Mal eine wichtige Rolle übernehmen: Sie sollten ein Gemeinschaftsgefühl einer Nation herausbilden, die aus unterschiedlichen Kulturen geformt ist.

Auch wenn man den Rütlischwur längst als geniales Storytelling enttarnt hat, seine Bedeutung für die Schweizer Identität kann kaum hoch genug gewürdigt werden.

 

Wir danken Frau Annina Michel, Leiterin des Bundesbriefmuseums, für ihren fachlichen Input zu diesem Text.

Hier wird Schweizer Geschichte erlebbar

Rütli

Zu tun gibt es auf dem Rütli wenig: Den Schwurplatz und die eigentliche Rütliwiese (nur ein kleiner Teil des Geländes) hat man schnell gesehen. Zudem zeigt ein kleines Museum derzeit die Geschichte der Schweizer Sozialhilfe.

Unser Tipp: Als alleiniges Ausflugsziel lohnt das Rütli kaum – ist aber ein toller Stopp auf einer Schiffsrundfahrt auf dem Vierwaldstättersee. Auf dem Rütli kann man im Restaurant Zmittag essen oder picknicken.

Der schnellste Weg aufs Rütli ist mit dem Schiff von Brunnen SZ (10 Minuten).

Weg der Schweiz

Ein Mal um den Urnersee, dem südlichen Teil des Vierwaldstättersee, führt der Weg der Schweiz. Am Rütli beginnend, geht es auf 35 Kilometern bis nach Brunnen SZ. Entlang des Weges kann man nicht nur die Schönheit der Zentralschweiz bewundern, sondern auch legendäre Orte besichtigen: das Rütli und die Tellsplatte. Zudem sind auf der gesamten Länge die Schweizer Kantone mit Gedenksteinen verewigt.

Unser Tipp: In Flüelen lohnt sich ein Abstecher ins Tellmuseum in Bürglen (Bus).

Wer den Weg abkürzen will, kann an vielen Stellen aufs Schiff springen. Ansonsten sollte man für die gesamte Strecke zwei Tage einplanen.

Das Bundesbriefmuseum

Das Bundesbriefmuseum in Schwyz wurde in den 1930er Jahren als «Kathedrale» für den Bundesbrief von 1291 erbaut. Seit 2014 wird in einer neuen, multimedialen und interaktiven Ausstellung die Bündnispolitik der Alten Eidgenossenschaft anhand originaler Dokumente verdeutlicht. Zudem wird der Bundesbrief historisch eingeordnet und seine Geschichte für die Identitätsbildung der Schweiz erzählt.

Unser Tipp: Wer sich für Architektur interessiert, kann am Bundesbriefmuseum die heroische Architektur und Kunst der 30er Jahre in Reinform studieren. 

Geöffnet von 10 bis 17 Uhr (Montags geschlossen). Preis: Erwachsene 5 Franken, Kinder bis 16 Jahren frei. bundesbrief.ch

Forum Schweizer Geschichte Schwyz

Das Forum Schweizer Geschichte befindet sich nur wenige Schritte neben dem Bundesbriefmuseum. Hier wird die Geschichte der Entstehung der Schweiz vom 12. bis 14. Jahrhundert erzählt. Also jener Zeit, als die wichtigsten Bündnisdokumente und der Gründungsmythos (Rütli, Tell) entstanden sind und sich die Schweiz als eigenständiges Territorium herausgebildet hat.

Unser Tipp: Wer sich vertieft für Schweizer Geschichte interessiert, sollte unbedingt beide Schwyzer Museen, das Bundesbriefmuseum und das Forum, besuchen.

Geöffnet von 10 bis 17 Uhr (Montags geschlossen). Preis: Erwachsene 10 Franken, Kinder bis 16 Jahren frei. forumschwyz.ch

Tell Museum, Bürglen

Im angeblichen Wohnhaus Wilhelm Tells in Bürglen (bei Altdorf) befindet sich das Tell Museum. Dieses geht hauptsächlich der Frage nach, wie die Schweizer Befreiungstradition mit ihrer Legende um Wilhelm Tell in den letzten Jahrhunderten instrumentalisiert und für verschiedenste politische Intentionen benutzt wurde.

Unser Tipp: Auf den Spuren Tells wandeln kann man in Altdorf, wo der Apfelschuss stattgefunden haben soll (Telldenkmal), an der Tellsplatte bei Sisikon (Tellkapelle) und natürlich bei der Hohlen Gasse in Küsnacht am Rigi.

Im August von Dienstag bis Sonntag geöffnet von 10 bis 17 Uhr. Preis: Erwachsene 8 Franken, Kinder 2.50 Franken. tellmuseum.ch

Geschichtsreise Seelisberg – Rütli

Ganz neu (Eröffnung am 1. August 2020) ist der geschichtliche Wanderweg von Seelisberg zur Rütliwiese. An 12 Stationen wird sowohl die Tourismusgeschichte der Region als auch die Geschichte von Rütli, Tell und Co.

Die reine Gehzeit beträgt etwa 2 Stunden, allerdings sollte man sich für den Rundgang einen halben Tag Zeit nehmen. geschichtsreise-seelisberg.ch

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