Die Landschaft der Ostsee ist eher Aquarellmalkasten als knallige Ölfarbe. Der Ultramarin-Türkis-Mix des Meeres, das Grünoliv des Strandhafers und der Ocker der Sandstrände haben etwas Mildes. Dazu gesellen sich eine salzige Meeresbrise und das Geschnatter der Wildgänse, die auf dem Weg Richtung Norden ein Päuschen einlegen. Eine Idylle ist das, bei der man herrlich dem Alltagsstress entfliehen kann.
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Und für diesen gechillten Landstrich haben wir die passende Reiseart gewählt: eine etwa 250 Kilometer lange Velotour auf dem Ostseeradweg von der Stadt Wismar über Warnemünde und Stralsund bis ins Ostseebad Binz auf der Insel Rügen. Insgesamt ist der Ostseeradweg in Deutschland 1000 Kilometer lang und führt von Flensburg in Schleswig-Holstein bis nach Ahlbeck auf der Insel Usedom an der Grenze zu Polen. Und wem die Puste dann noch nicht ausgegangen ist, der kann einfach weiterradeln. Der deutsche Abschnitt ist ein Teil der EuroVelo-Route 10, die sich auf etwa 9000 Kilometern einmal um die Ostsee schlängelt.
Unser Ostseeradweg beginnt in Wismar
Los geht es für uns in der Hansestadt Wismar, die von der Unesco den Welterbe-Titel verliehen bekam. Die 42 000-Seelen-Stadt war im Mittelalter Mitglied der Hanse, einer der ersten Freihandelszonen der Geschichte, kam unter anderem mit dem Export von Bier zu Reichtum und trumpft heute mit der schönsten Altstadt der Region auf. Malerisch ist das und wir fühlen uns zwischen den herrschaftlichen Backsteinhäusern wie in einem Modelleisenbahn-Städtchen.
Und wie in einer herausgeputzten Landschaft geht es weiter. Kaum, dass wir Wismar hinter uns lassen, erstrecken sich links schier unendliche Sandstrände und Steilküsten und rechts flache Wiesen bis zum Horizont. Gespickt ist das Ganze mit kleinen Weilern und Dörfchen, die ausserhalb der Touristensaison im Dornröschenschlaf dahindämmern. Mit nur 69 Einwohnern pro Quadratkilometer ist das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern das am wenigsten besiedelte Deutschlands. Und während der Mangel an Städten und die Landflucht für die Region ein Problem darstellen, bedeutet es für den Tourismus Ruhe und Erholung – und das schon seit über 200 Jahren.
Im Jahr 1793 wurde in Heiligendamm das erste Ostseebad eröffnet. Viele weitere Kurbäder folgten und so reiht sich auf unserem Weg ein Seebad ans nächste: Kühlungsborn, Heiligendamm, Warnemünde, Zingst.
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Nach dem Radeln ab ins Meer
Überhaupt ist es ein besonderer Reiz des Ostseeradwegs, dass man hier überall ins Meer springen kann. Wir sind Mitte April unterwegs und haben die Strände (fast) für uns allein. Zwar lacht die Sonne vom Himmel, aber es ist noch bitterkalt. Wir mummeln uns in dicke Pullover, sitzen am Strand, schauen aufs Meer und lassen uns vom Wind die Lungen durchpusten. Herrlich!
Mein Tipp: Wer ins Meer springen will, sollte im Juli oder August in den Norden kommen. Dann kann es aber auch hier voll werden. Wer die Ruhe sucht, macht sich besser im Frühling oder im Herbst auf an die Ostsee. Und noch eines: Unbedingt ein E-Bike mieten! In der Norddeutschen Tiefebene gibt es zwar keine nennenswerten Steigungen, aber manchmal bläst ein Wind, der seltsamerweise immer von vorne kommt. Das kann ganz schön schlauchen.
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Dann dopen wir uns mit DEM Streetfood-Klassiker der Region: einem Fischbrötchen mit Bismarckhering, das es hier an allen Ecken gibt. Oder wir nippen an einem Sanddorn-Punsch, dazu Omas Kirschkuchen, der übrigens auf unserer Tour nirgends besser schmeckt als in der «Mühle» im romantischen Künstlerstädtchen Ahrenshoop auf der Halbinsel Fischland-Darss-Zingst.
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Der Landstrich, der sich wie ein Aal um das Festland legt, ist unser Lieblingsspot auf der gesamten Tour. Denn hier sieht die Ostseeküste aus, wie man sie sich vorstellt: Steilküste, die jedes Jahr ein paar Meter abbröckelt, Kiefernbäume, an welche die Wellen schwappen und Reetdachhäuser wie auf einem Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Wir verlängern spontan um einen Tag, besuchen den Nationalpark und spotten ein paar Hirsche, die später im Herbst bei ihrer Brunft über die Insel dröhnen (vielleicht die beste Zeit für einen Besuch).
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Abends sitzen wir mit dem obligatorischen Fischbrötchen und einem Störtebeker Bier am Strand von Zingst und schauen der Sonne dabei zu, wie sie ein Bad in der Ostsee nimmt und den Himmel in eine Wasserfarbenpalette verwandelt.