Albanien – ein Rohdiamant
Albanien boomt. Die Touristenzahlen steigen rasant. Wir haben uns umgesehen und herzige Dörfchen, ursprüngliches Lebensgefühl und Autofahrer entdeckt, die einem das Fürchten lehren.
Albanien boomt. Die Touristenzahlen steigen rasant. Wir haben uns umgesehen und herzige Dörfchen, ursprüngliches Lebensgefühl und Autofahrer entdeckt, die einem das Fürchten lehren.
Ein Glück, dass Verkehrsregeln für die albanischen Autobahnen nur ein Vorschlag sind. Das gibt die nötige Freiheit für drei Autos auf einer Doppelspur, für Pferdefuhrwerke auf dem Standstreifen, Velofahrer in Gegenrichtung und Gemüsestände an der Leitplanke. Autofahren in Albanien verlangt Abenteuerlust – und die Bereitschaft, das Unerwartete vorauszuahnen. Aber gerade deshalb ist ein Roadtrip die einzig wahre Art, den Balkanstaat zu bereisen: Automieten, über Spurrillen so tief wie Strassengräben rattern, in Roadside-Beizen Qöfte (Fleischklöse) essen und verträumte Dörfchen entdecken.
Etwas mehr als eine Woche haben wir uns Zeit genommen, die Sightseeing-Spots im Süden des Landes abzuklappern: Den mystischen Ohridsee, den bewaldeten Llogara Nationalpark, die Ausgrabungsstätte von Butrint und die Unesco Welterbe Gjirokaster und Berat. Denn gerade für Kultur- und Geschichtsinteressierte ist Albanien interessant.
Foto: Travel Magazin
Mit seiner zentralen Lage auf dem Balkan sah die Region viele Herren: die alten Griechen, die Römer, die Byzantiner und für etwa 500 Jahre die türkischen Osmanen, die nicht nur ihre Architektur und Kochkünste hinterliessen, sondern auch ihre Religion: Albanien ist das einzige islamische Land Europas. Insbesondere Berat mit seinen osmanischen Häusern ist ein Schmuckstück: Über die engen Gässchen, die aus groben Flusskieseln gepflastert wurden, schleppen Alte ihre Einkäufe nach Hause und hüpfen Kinder Gummitwist. Frische Wäsche flattert im Wind. Berat steht in den letzten Jahren, wie das gesamte Land, am Scheideweg. Viele Menschen ziehen aus den jahrhundertalten Häusern in die Neustadt, die sich wie ein Ring um den alten Kern gelegt hat. Gewiefte Geschäftsleute übernehmen die historischen Gebäude und wandeln sie in Boutiquehotels, Restaurants und Geschäfte um.
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Die touristische Infrastruktur ist allerdings noch nicht ausgebaut. Das liegt auch daran, dass Albanien zu den ärmsten Ländern Europas zählt. Die Gründe sind Missmanagement und Korruption, aber auch die ehemalige Diktatur unter Enver Hoxa (1908-1985), der das Land 40 Jahre lang im Würgegriff hielt. «Wir waren das Nordkorea Europas», erzählen die Menschen. Hoxa forcierte eine extreme Form des Kommunismus und der Abschottung (etwa 200 000 Bunker im ganzen Land zeugen von seinem Verfolgungswahn). Im Jahr 1991 brach das System zusammen und mit dem Chaos kam die Bauwut – leider. Denn ohne eine geregelte Bauordnung wurden viele Wohnblocks in die Höhe getrieben, die insbesondere die Badeorte Ksamil, Saranda und Vlora verschandelt haben. Das ist schade, denn die Strände im Süden des Landes, wo die Berge direkt bis zum Wasser reichen, gleichen herrlich kleinen Buchten mit tropisch-klarem Wasser.
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Die entdeckt man am besten, wenn man sich zu Fuss entlang der Küste aufmacht. Vom kleinen Städtchen Himara, etwa in der Mitte des ionischen Meers, schlängelt sich ein ausgebauter Wanderweg zu verschiedenen Buchten Richtung Norden. Dann entfaltet Albanien seine wahre Schönheit: eine geballte Ladung Mittelmeer-Flair. Verknöcherte Olivenbäume und Pinien wachsen hier, es duftet nach Rosmarin, Thymian und Schafe, die meckernd durch das Gestrüpp ziehen. Wir finden eine felsige Bucht, kaum grösser als der heimatliche Garten. Niemand kommt vorbei. Herrlich. Zurück im Städtchen Himara sind wir erst nach Sonnenuntergang, wenn die Menschen auf der Mini-Flaniermeile bummeln. Der sogenannte Abendspaziergang, der Xhiro, ist ein wichtiger Bestandteil im Tagesablauf, zum Freunde treffen, ein Schwätzchen halten oder um zum Restaurant zu schlendern. Wir tun es heute Abend den Einheimischen gleich.
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Das Gebirge im Norden des Landes wird auch als die Albanischen Alpen bezeichnet. Die Gipfel reichen zwar «nur» bis knapp unter die 3000-Meter-Marke, das Gebirge mit seinen grünen Tälern und teilweise dichten Wäldern ist dennoch ein Schmuckstück. Passenderweise übersetzt sich der albanische Name auch als «Verwunschenes Gebirge». Da ist es fast schon selbstverständlich, dass hier Luchse, Wölfe und Bären durchs Gestrüpp schleichen und Adler um die Gipfel kreisen. Das Gebirge abseits der Touristenpfade ist sehr beliebt bei Outdoor-Sportlern. Nebst wandern, kann man auch raften.
Tipp: Viele Wanderwege sind markiert – oft allerdings ungenügend. Deshalb ist eine gute Ausrüstung und gutes Kartenmaterial besonders wichtig. Alternativ kann man in den Bergdörfern auch ein Führer engagieren, der einem auch zu unbekannteren Gipfeln bringen kann.
Ein Kaleidoskop der abwechslungsreichen Geschichte zeigt die Halbinsel Butrint im Süden des Landes, die schon 1992 zum Unesco Welterbe erklärt wurde. Zu sehen gibt es Tempel, Strassenzüge, Theater und Kirchen von den alten Griechen, den Römern, den frühen Christen und den Osmanen. Nicht verpassen bei einem Besuch sollte man auch das archäologische Museum, in dem man die besten Fundstücke der Halbinsel bewundern kann.
Tipp: Butrint ist die meistbesuchte archäologische Stätte Albaniens. Wer am Morgen kommt, vermeidet die Tourbusse.
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Das südalbanische Gjirokaster wird passenderweise auch «Stadt der Steine» genannt. Die Häuser in dem Bergstädtchen (20 000 Einwohner) wurde aus dem lokalen grauen Stein gebaut, mit dem sogar die Dächer gedeckt sind. In der Altstadt befinden sich etwa 600 Bauten aus der Zeit der Osmanen (15. bis 19. Jahrhundert), weswegen Gjirokaster 2005 ebenfalls Unesco Welterbe wurde. Einige der prachtvoll ausgeschmückten Häuser können besichtigt werden, Wie beispielsweise das opulente «Zekate House», das über der Altstadt thront. Ebenso zu sehen sind Moscheen und Gebetsorte des islamischen Sufiordens.
Tipp: Eine besondere Sehenswürdigkeit ist der Bunker unter der Festung aus der Zeit des Kalten Krieges. Die 80 Zimmer waren für bis zu 30 Personen ausgelegt.
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Albaniens Hauptstadt ist bunt. In den letzten Jahrzehnten hat man viel Farbe an die alten Fassaden gepinselt, spannende Street Art ist entstanden. Schön ist Tirana allerdings nicht. Das ist aber kein Grund nicht ein paar Tage in der 550 000-Menschen-Stadt zu verbringen. Wer sich für die zweifelhafte Schönheit faschistischer Bauten und Plattensiedlungen interessiert, findet hier Einiges. Tirana begeistert aber vielmehr durch seinen energischen Groove – viele Studenten sorgen für das tollste Nachtleben der Region. Wer schon mal da ist, sollte auch die Café- und Kneipen-Kultur geniessen, die in dem Land eine lange Tradition haben. Besonders viele Ausgehmöglichkeiten finden sich im Stadtteil «Blloku», in dem früher die kommunistischen Politiker lebten. Auch auf den Tellern tut sich was: immer mehr kreative Restaurants entstehen. Was auf den Teller kommt, stammt meist vom eigenen, biologischen Bauernhof. Angeboten werden traditionelle Gerichte. Ebenfalls auf Tradition wert legt man im Restaurant Mullixhiu in Tirana, dass zu den besten Restaurant Albaniens zählt. Chef Bledar Kola gibt den albanischen Gerichten einen modernen Touch. www.mullixhiu.al
Tipp: In Albanien wurden ab den 60er-Jahre schätzungsweise 200 000 Bunker gebaut In Tirana entstand vor ein paar Jahren das BunkArt Museum, das die Geschichte des Landes mit Fokus auf die politische Unterdrückung erzählt. www.bunkart.al
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Hinkommen Swiss fliegt mehrmals wöchentlich von Zürich in die Hauptstadt Tirana. swiss.com
Rumkommen Ein Mietwagen ist unerlässlich, wenn man Albanien erkunden will. Zwar fahren zwischen den Orten Busse, die allerdings sehr viel Zeit benötigen. Autofahrer sollten sehr defensiv fahren, insbesondere bei Gegenverkehr ist Vorsicht geboten: waghalsige Überholmanöver geschehen oft.
Reinkommen Zur Einreise genügt ein Reisepass oder eine ID.
Buchen Das Schweizer Reisebüro «Meersicht» bietet individuelle Mietwagenrundreisen und geführte Touren an. meersicht.ch