Die Reiselust bleibt ungebrochen
Martin Wittwer, Präsident des Schweizer Reise-Verbands (SRV), erläutert im Interview, welche Reisedestinationen 2025 im Fokus stehen und wieso es auf dem Markt immer weniger Last-Minute-Angebote gibt.
Martin Wittwer, Präsident des Schweizer Reise-Verbands (SRV), erläutert im Interview, welche Reisedestinationen 2025 im Fokus stehen und wieso es auf dem Markt immer weniger Last-Minute-Angebote gibt.
Hat sich das Reiseverhalten nach der Pandemie verändert?
Martin Wittwer: Wir stellen nicht unbedingt ein verändertes Reiseverhalten fest, aber ein verändertes Buchungsverhalten. Es wird mehrere Monate im Voraus geplant und gebucht, da die Menschen auch wieder die Sicherheit spüren, dass sie längerfristig planen können.
Inwiefern wirkt sich die aktuelle geopolitische Situation aus?
Die Auswirkungen sind überschaubar. Die Reiselust der Schweizer Kundinnen und Kunden bleibt offenbar selbst bei geopolitischen Krisen ungebrochen. Beispielsweise war Ägypten diesen Herbst eines der meistgebuchten Ferienländer, obwohl es an Israel und Gaza grenzt. Trotz der anspruchsvollen Rahmenbedingungen konnten wir sowohl im Sommer- als auch im Wintergeschäft das Niveau des Vorjahres halten, teilweise sogar leicht ausbauen.
Kommen aufgrund der unsicheren Weltlage wieder mehr Leute ins Reisebüro?
Wir stellen fest, dass sich globale Krisen stets in einem erhöhten Beratungs- und Planungsaufwand sowie dem Kundenbedürfnis nach Sicherheit und einem direkten Ansprechpartner äussern – der direkte Kontakt wird dementsprechend noch mehr geschätzt.
Man liest des Öfteren, dass Selbstbucher günstiger wegkommen. Was sind die Vorteile beim Buchen im Reisebüro?
Diese Aussage stimmt so nicht – denn die Buchung erfolgt nicht mehr ausschliesslich physisch im Reisebüro, sondern zusätzlich über diverse digitale Kanäle der Reiseveranstalter. In der Reisewelt ist Online und Offline längst verzahnt; somit sind es dieselben Angebote und Preise. Derweil stellt der Reiseexperte den Kundinnen und Kunden mit seinem Fachwissen, dem Zugang zu diversen Buchungsplattformen und speziellen Corporate Rates eine massgeschneiderte Offerte zusammen – stets den individuellen Bedürfnissen entsprechend. Abgesehen davon und der damit verbundenen Zeitersparnis ist die Kundengeldabsicherung einer der grössten Vorteile beim Buchen im Reisebüro: Bei einer Krise, Flugausfällen oder der Insolvenz eines Leistungsträgers sind die Kundengelder vollumfänglich abgesichert. Ein Selbstbucher, der sich seine Reise im Baukasten-Prinzip zusammenstellt, riskiert bei einer Krise oder Insolvenz nicht nur in einer unsäglichen Warteschlange bei einem Callcenter irgendwo im Ausland zu stranden, sondern verliert auch sein Geld.
Die Preise in Destinationen wie den USA oder Thailand sind zuletzt stark gestiegen. Wie sieht das Preisniveau 2025 aus?
Die Landleistungen in den USA, Thailand oder Japan werden vermutlich auf hohem Niveau stagnieren. Insgesamt gehen wir aber davon aus, dass die Preise im Vergleich zu 2024 stabil bleiben und die Flugpreise auf der Langstrecke tendenziell sogar günstiger werden. Dies könnte mitunter ein Grund sein, weshalb die Reisebranche im Winterhalbjahr deutlich mehr Buchungen auf der Fernstrecke verzeichnet.
Ein Problem waren im Nachgang der Pandemie die tiefen Flugkapazitäten in Richtung Asien. Gibt es hier Entwarnung?
Das Sitzplatzangebot der Airlines nach Asien ist nach wie vor nicht auf dem Niveau von 2019; im Vergleich zur Vor-Pandemiezeit liegt es bei rund 85 Prozent. Wir gehen davon aus, dass die Flugkapazitäten 2025 weiter erhöht werden.
Kristallisieren sich für 2025 bereits neue Trenddestinationen heraus?
Destinationen mit Zuwächsen auf der Fernstrecke sind insbesondere Cartagena und Bogota in Kolumbien sowie Washington D.C. in den USA oder Toronto, Kanada. Dies liegt auch daran, dass diese Ziele neu in den Flugplan von Edelweiss und Swiss aufgenommen wurden und direkt angeflogen werden. Innereuropäisch ist es allerdings noch zu früh, um schon Trends zu evaluieren. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden aber die klassischen Badeferiendestinationen erneut die grösste Nachfrage verzeichnen.
Vielerorts war die Rede davon, dass es immer mehr Schweizer im Sommer und im Herbst in den Norden zieht. Können Sie das so bestätigen?
Nördliche Destinationen wie Skandinavien oder Nordamerika verzeichneten im Sommer und Herbst 2024 tatsächlich ein Wachstum, gemessen am Gesamtvolumen liegen Reisen in diese Regionen aber wahrscheinlich nur knapp im zweistelligen Bereich. Auch wenn sich die Schweizerinnen und Schweizer Reisen in die Einsamkeit des Nordens gut vorstellen können, zeigt die Liste der Top-Destinationen ein anderes Bild: Italien, Frankreich und Spanien gefolgt von anderen Klassikern wie Griechenland und der Türkei waren auch 2024 die angesagtesten Sommerdestinationen. Im Herbst standen insbesondere Ägypten, die Türkei oder Mauritius hoch im Kurs. Bei der Buchung wird also weiterhin grossmehrheitlich auf die bewährten Destinationen zurückgegriffen.
Es ist auffallend, dass es immer weniger Last-Minute-Angebote gibt. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die Zusammenstellung der Reisearrangements hat sich verändert. Beispielsweise haben die Reiseveranstalter früher fixe Sitzplatzkontingente bei den Airlines eingekauft. Nicht verkaufte Flugplätze kamen kurz vor Abflug als günstige Last-Minute-Angebote auf den Markt. Seit Jahren werden die Arrangements jedoch dynamisch zusammengestellt, d.h. die Reiseveranstalter schnüren das Paket erst bei der Buchungsanfrage und zu einem tagesaktuellen Preis. Dieser variiert je nach verfügbarem Angebot. Dadurch ist der Reiseveranstalter nicht mehr im Zugzwang, überschüssige Kontingente kurzfristig zum Schnäppchenpreis loszuwerden. Punktuell werden aber nach wie vor vergünstigte Angebote publiziert. Wer also wartet und auf ein Schnäppchen hofft, kann schwer enttäuscht werden. Die besten Angebote sichert man sich auf jeden Fall durch eine frühe Buchung.
Das Thema Overtourismus beschäftigt vielerorts. Wie geht der Verband damit um?
Der Overtourismus ist in bestimmten Hotspots definitiv eine Herausforderung, die wir ernst nehmen. Die gesamte Reisebranche steht in der Pflicht, mit lokalen Organisationen und politischen Behörden einen Konsens zu finden. Es muss eine Balance zwischen dem durch den Tourismus massgeblich miterwirtschafteten Wohlstand, dem Bruttoinlandprodukt, und der Beeinträchtigung der Lebensqualität der lokalen Bevölkerung geschaffen werden, das ist für mich klar. Als Reiseanbieter können wir im Dialog und in der Beratung unterstützen, die Verabschiedung neuer Regularien obliegt jedoch den Entscheidungsträgern vor Ort.
Sie sind selbst bekennender Mallorca-Fan. Wie nehmen Sie persönlich die Overtourismus-Thematik auf der Insel wahr?
Mallorca ist eine wunderbare, vielfältige Insel. Aus meiner Perspektive wird über Mallorca oft tendenziös berichtet, wobei die Realität nicht diesen pauschalen Vorurteilen entspricht. Der Overtourismus ist in den Sommermonaten, wie in vielen anderen Feriendestinationen, sicherlich eine Herausforderung. Die Tourismuswirtschaft vor Ort ist sich der Herausforderung bewusst und entwickelt neue Konzepte in Richtung «Qualität statt Masse».
Ein persönlicher Reisetipp von Ihnen?
Mit dem angenehmen Klima, den gewaltigen Vulkanbergen und den atemberaubenden schwarzen Sandstränden ist es kein Wunder, dass Madeira als «Hawaii Europas» betitelt wird. Und Hawaii ist auch meine absolute Lieblingsinsel.
SRV, Martin Wittwer
Martin Wittwer ist Präsident des Schweizer Reise-Verbands SRV. Die Branchenorganisation vertritt Reisebüros, Reiseveranstalter und Online Travel Agents in der Schweiz und Liechtenstein auf nationaler und internationaler Ebene, ist aktiv in der Mitgestaltung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und betreibt Lobbying gegenüber der Politik, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit.
Der SRV befasst sich mit Trends und Zukunftsthemen, die für Branche an Relevanz gewinnen und entwickelt breit abgestützte Empfehlungen und Navigationshilfen. Zudem setzt sich der Verband für die optimale Aus- und Weiterbildung zukünftiger Reiseprofis sowie für sicheres und nachhaltiges Reisen ein. srv.ch