• Vogel unterwegs (13)

Steinkrüge und Streubomben

Artur reist in die tiefste laotische Provinz, um dort die mysteriösen, 1500 bis 2500 Jahre alten Steinkrüge zu besichtigen – und wird einmal mehr mit dem Vietnamkrieg konfrontiert, der hier «Amerikanischer Krieg» heisst.

Steinkrüge und Streubomben

Enrique, Finanzberater, und Álvaro, Anwalt, haben ihre vielversprechenden Karrieren in Madrid aufgegeben. Die beiden fast Dreissigjährigen sind seit vielen Monaten in Asien als Blogger und Youtuber unterwegs. Aber so etwas wie in Laos haben sie noch nie erlebt.

Enrique und Alvaro, Blogger und Youtuber in Laos unterwegs.

Foto: Artur K. Vogel

Den Spaniern wurde gesagt, die Fahrt im Minibus für die 260 Kilometer von Luang Prabang nach Phonsavan dauere fünf Stunden; mir wurden sechs genannt. Doch die Strasse ist in einem Zustand, wie ich ihn ausserhalb Afrikas noch nie gesehen habe: Der Belag kilometerweise weggespült oder von den sechsachsigen 40-Tonnen-Anhängerzügen zermalmt, die das Erz aus den Minen in den Bergen hinunter zum Mekong transportieren. Spitze, reifenzerfetzende Steine; Bodenwellen wie von einem Riesenpflug aufgeworfen; badewannengrosse Schlaglöcher.

So erreichen wir Phonsavan erst nach einer zehnstündigen Fahrt meist im Schritttempo, zermartert vom ewigen Auf und Ab, vom Holpern, Rütteln, Rumpeln und Ächzen des betagten, eng bestuhlten Minibusses, auf dessen Dach unser Gepäck mitfährt.

Mit dem Minibus von Luang Prabang nach Phonsavan.

Foto: Artur K. Vogel

Winterthur im laotischen Hinterland

Von Phonsavan, 50’000 Einwohner, auf 1100 Metern über Meer im laotischen Hinterland gelegen, dürften die wenigsten gehört haben. Eine gewisse Bekanntheit könnte die Hauptstadt der Provinz Xieng Khouang allenfalls in Winterthur haben: Der Verein Spitalpartnerschaft Phonsavan und Kantonsspital Winterthur hat eine enge Zusammenarbeit aufgebaut; regelmässig geben medizinische Fachkräfte aus der Schweiz hier ihr Wissen weiter. Auch das Swiss Laos Hospital Project (SLHP), das die Gesundheit von Müttern und ihren Kindern in Laos verbessern will, ist mit Fachleuten präsent.

Die strapaziöse Fahrt habe ich wegen einer anderen Geschichte auf mich genommen: Ich will die Ebene der Steinkrüge besuchen, eine rätselhafte archäologische Stätte. Sie besteht an mehreren Fundorten aus mehr als 2100 massiven, röhrenförmigen Krügen, die in nahen Steinbrüchen aus dem Felsen gehauen wurden, zwischen einem halben und drei Metern gross sind und bis zu sechs Tonnen wiegen.

Laos, ProvinzXieng-Khouang, Ebene der Steinkrüge.

Foto: Artur K. Vogel

Wein – oder Leichen?

Die Steinkrüge sind 1500 bis 2500 Jahre alt. Wozu sie dienten, ist nicht restlos geklärt und nährt Legenden und Theorien. Eine besagt, dass König Khun Chuang die Krüge mit Wein füllte, um einen Sieg über seine Feinde zu feiern. Allerdings ist die Existenz Khun Chuangs, der im 6. Jahrhundert n.Chr. geherrscht haben soll, historisch nicht belegt. Ähnlich wie Wilhelm Tell für die Schweiz dient er jedoch der nationalen Mythologie als Integrationsfigur.

Die plausibelste Theorie, erklärt mir mein Guide Souk, stammt von der Forscherin Madeleine Colani. Die französische Archäologin untersuchte die Megalithen in den 1930er-Jahren und veröffentlichte darüber eine Reihe wissenschaftlicher Beiträge. Colani fand in, neben und unter den Krügen Knochenfragmente, Zähne, Keramikscherben und Glasperlen sowie massive steinerne Deckel und kam zum Schluss, dass sie als Urnen dienten, in denen Verstorbene einige Jahre mumifizierten, bevor ihre Überreste begraben oder kremiert wurden.

Laos, Provinz Xieng-Khouang, Ebene der Steinkrüge.

Foto: Artur K. Vogel

Ein einziger Tourist

Phonsavan ist kein touristischer Hotspot. Die Anfahrt auf den kaputten Fernstrassen ist mühsam, egal, ob man wie ich aus Luang Prabang kommt, aus Vang Vieng, wohin ich später weiterreisen werde, oder aus Vietnam, dessen Grenze 130 km östlich liegt. Zudem war der Regionalflughafen wegen Erweiterungsarbeiten seit Monaten ausser Betrieb.

Das hat für die Menschen, die vom Tourismus leben, schwerwiegende finanzielle Folgen; für uns Touristen ist es ein Segen: Von den drei für Besucher erschlossenen Steinkrüge-Stätten hatte ich zwei für mich ganz allein, was in mir eine angenehme, kontemplative Stimmung erzeugte. Nur die Stätte 1, eine weite Ebene, gekrönt von einem Hügel, mit Bäumen, weidenden Kühen und mehr als 250 Megalithen, musste ich mir mit einer Handvoll weiterer Besucher teilen.

Laos, Provinz Xieng-Khouang, Ebene der Steinkrüge.

Foto: Artur K. Vogel

Die Stätte 1 ist nicht nur ein Zeugnis einer früheren Kultur. Auch die jüngste Geschichte ist hier ablesbar. Am Hügel verlaufen Schützengräben, welche die kommunistischen Kämpfer der Pathet Lao während des Bürgerkriegs und des «Amerikanischen Krieges» (1953–1975) angelegt hatten, an dem sich auch das kommunistische Nordvietnam mit eigenen Truppen beteiligte. Auch mehrere riesige Bombenkrater sind über das weite Feld verteilt.

Ab den frühen 1960er-Jahren nutzte Nordvietnam laotisches Territorium für Nachschubrouten nach Südvietnam, den so genannten Ho-Chi-Minh-Pfad, der mitten durch die Provinz Xieng Khouang verlief. Schon ab 1959 griffen auch die Amerikaner ein. Mein Guide Souk gehört dem Minderheitenvolk der Hmong an (« Vogel unterwegs » 12). Diese schlugen sich auf die Seite der USA, deren Geheimdienst CIA in der Nähe von Phonsavan eine Zentrale einrichtete. Der Anführer der Hmong, General Vang Pao, begann ab 1960 im Auftrag der CIA – und von dieser mit Koffern voller Dollars alimentiert –, eine Geheimarmee aufzubauen, welche die Kommunisten bekämpfte. Wer konnte, flüchtete nach Thailand oder in die USA. Dorthin wurde auch General Vang Pao evakuiert, als die Kommunisten 1975 die Macht errangen.

Traditionelle Bekleidung des Volkes Hmong.

Foto: Artur K. Vogel

580’000 Bombenangriffe

Die schrecklichste Phase des Krieges begann 1964, als die USA begannen, neben Vietnam auch Kambodscha und Laos systematisch zu bombardieren. Tafeln beim regionalen Tourismusbüro in Phonsavan informieren darüber, dass kein anderes Land jemals mehr Bomben pro Kopf der Bevölkerung abbekommen hat als Laos. Bis 1973 flogen die Amerikaner 580.000 Bombenangriffe, das heisst: ein Bombardement alle acht Minuten während neun Jahren. Ein Bruchteil der abgeworfenen und verschossenen Munition ist im Garten hinter dem Tourismusbüro in Phonsavan ausgestellt.

Eine aufgeklappte Streubombe dokumentiert dort deren verheerende Wirkungsweise: Die Bombe explodiert noch in der Luft und verstreut Hunderte oder Tausende Mini-Bömbchen über eine grosse Fläche. Diese explodieren ihrerseits und richten flächendeckende Zerstörungen an. Streubomben töten auch heute noch, mehr als 50 Jahre nach dem Krieg: Viele ihrer Ladungen sind nicht explodiert. Man schätzt die Zahl der Blindgänger in Laos noch immer auf 80 Millionen, obwohl Regionen nach und nach in mühsamer und gefährlicher Arbeit von ihnen gesäubert werden.

Am härtesten traf der Vietnamkrieg, der hier «Amerikanischer Krieg» genannt wird, die Provinz Xiang Khouang, die «meistbombardierte Region der Erde». Fast alle Ortschaften wurden zerstört, unter anderem die prosperierende, historische Marktstadt Muang Khoun, die Hauptstadt der Provinz. Von rund 60 Tempeln aus dem 16. bis 19. Jahrhundert in Muang Khoun bleiben, mit einer Ausnahme, nur Grundmauern und Fragmente übrig. Die Stadt war nach dem Krieg entvölkert; die Regionalverwaltung zog ins 30 km entfernte Phonsavan um.

Altes US Kriegsmaterial in Phonsavan.

Foto: Artur K. Vogel

Paradies für Rucksacktouristen

Am nächsten Tag fahren wir, die beiden jungen Spanier wieder dabei, in einem Minibus hinunter nach Vang Vieng. Die Fahrt ist noch unbequemer als jene ein paar Tage zuvor: Im Van mit seinen 15 Sitzplätzen nehmen 17 Passagiere Platz, unter ihnen zwei Kinder. Die Strasse ist bis kurz vor Vang Vieng ebenso beschädigt wie jene aus Luang Prabang. Unterwegs hat der Fahrer die glorreiche Idee, drei zusätzliche Passagiere aufzuladen. Jetzt kauern im schmalen Mittelgang drei weitere Personen. Unterwegs hält uns ein Stau wegen eines Lastenzugs, der in der Strasse eingesunken ist, zusätzlich auf.

Gegen Abend kommen wir endlich in Vang Vieng an. Der Ort, einst ein verschlafenes Bauerndorf in einer dramatischen Fluss- und Berglandschaft, gilt seit zwei, drei Jahrzehnten als Paradies für Rucksacktouristen. Vang Vieng geriet im November 2024 in die Schlagzeilen, als zwei Australierinnen, zwei Däninnen, ein Amerikaner und eine Engländerin, die im Nana Backpacker Hostel abgestiegen waren, nach dem Konsum gepanschten Alkohols starben, der ihnen vom Hotelbesitzer kredenzt worden war.

Essensstände mit Rucksacktouristen in Vang Vieng.

Foto: Artur K. Vogel

Der Vorfall hat die Popularität des Ortes nicht geschmälert. Die Bars und Nachtklubs sind voll, die Pool-Tische besetzt, und über allem hängt dicker Marihuana-Geruch. Tour-Büros bieten Heissluftballonfahrten an, Kajaktouren, Canyoning in den umliegenden Bergen und andere Outdoor-Aktivitäten. Besonders beliebt ist das Tubing, bei dem man sich in einem aufgeblasenen Lkw-Schlauch den Nam-Song-Fluss hinuntertreiben lässt, sich unterwegs an der einen oder anderen Bar einen Drink genehmigt und sich am Ende nach Vang Vieng zurückfahren lässt.

Das Leben in Vang Vieng ist für seine Besucher eine einzige Party. Weiter entfernt als hier könnten der «Amerikanische Krieg» und seine Spätfolgen kaum sein.

Heisslufballon in Vang Vieng.

Foto: Artur K. Vogel

Schweizer Medizin für Laos

Das Swiss Laos Hospital Project (SLHP) wurde 2000 vom Gynäkologen Urs Lauper gegründet, einem leitenden Arzt an der Universitätsklinik Zürich. Es will in ganz Laos im Besonderen die hohe Sterblichkeit von Müttern und Neugeborenen senken. Dabei geht es SLHP laut seinem Leitbild «darum, unser Fachwissen an die laotischen Kollegen weiterzugeben». Man wolle die «lokalen Partner in die Entwicklung der Spitalstrukturen in ihrem Land einbeziehen, damit sie selbst die Verantwortung dafür übernehmen, dass das vermittelte Fachwissen angewendet wird». swisslaos.ch

Seit der Gründung der Spitalpartnerschaft Phonsavan und Kantonsspital Winterthur standen etwa 100 Fachleute aus der Schweiz im Einsatz am Provinzspital. Ziel des Vereins ist es, «den Erwerb von Fachkompetenz durch formale Ausbildungen zu unterstützen und mit Englischunterricht die Fähigkeiten zur Nutzung von Internetquellen und den Austausch mit Experten zu ermöglichen. Wichtig ist auch, mit Anregungen nicht nur zur Lösung konkreter medizinischer Probleme, sondern auch zur eigenständigen Verbesserung von Abläufen und Organisationsstrukturen beizutragen.» ksw-laos.ch

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