• Vogel unterwegs (18)

Pfahlbauer und Ölbohrer in Brunei

Das Sultanat Brunei ist nur so gross wie der Kanton Bern und strikt muslimisch. Sein absolutistischer Herrscher ist dank dem Ölgeschäft unermesslich reich. Trotzdem musste Artur einige Vorurteile revidieren.

«Zwei Tage reichen», hatte mir ein Zufallsbekannter in der «Drunk Monkey Bar» in Kuching, der Hauptstadt des malaysischen Bundesstaates Sarawak auf Borneo, gesagt, während wir mit einem lokalen Craft-Bier anstiessen: «Brunei ist langweilig.» Zudem gibt es einige verstörende Aspekte: 2014 wurde die Scharia als Gesetzeswerk wieder eingeführt und mit ihr die Todesstrafe durch Steinigungen. Seit 2019 können auch Homosexualität und Ehebruch mit dem Tod bestraft werden.

Die Drunk Monkey Bar in Kuching, Brunei.

Foto: Artur K. Vogel

Also reiste ich mit Vorurteilen bepackt von Kuching in mehreren Bus-Etappen knapp tausend Kilometer Richtung Nordost in das kleine Land, das etwa gleich gross ist wie der Kanton Bern, aber nur knapp halb so viele, nämlich weniger als 500’000 Einwohner zählt: Brunei stellte ich mir spröde, rigid und lustfeindlich vor. Während man sich in Malaysia, das ebenfalls mehrheitlich muslimisch ist, problemlos mit Alkohol eindecken kann, ist dieser in der absolutistischen islamischen Monarchie Brunei verpönt. Sogar Rauchen ist verboten – ein weltweites Unikum.

Das erste Vorurteil musste ich schon am ersten Abend bei einem Spaziergang an der Waterfront revidieren, dem grosszügig ausgebauten Ufer des Brunei-Flusses in der Hauptstadt Bandar Seri Begawan. Hier joggt bei Sonnenuntergang die halbe Nation. Und während viele Frauen Kopftücher tragen – Gesichtsschleier hingegen sieht man kaum –, rennen andere in Shorts und T-Shirts an mir vorbei. So etwas bekäme man im rigiden Saudi-Arabien oder dem Iran niemals zu Gesicht.

Ausserhalb der Komfortzone

Von besagter Promenade aus sieht man am gegenüberliegenden Flussufer eine riesige Pfahlbausiedlung. Um dieses urtümlichen, «Kampong Ayer» oder «Wasserdorf» genannten Quartiere auf Stelzen über dem Wasser mit geschätzten 30’000 Bewohnern zu besuchen, nehme ich an der Uferpromenade ein Wassertaxi über den Fluss. Danach verlasse ich für zwei, drei Stunden meine touristische Komfortzone.

Wasserdorf in Bandar Seri Begawan, Brunei.

Foto: Artur K. Vogel

Erstens ist es unermesslich heiss und feucht. Und zweitens sind die Häuser, Moscheen und Schulen auf ihren Pfählen durch hölzerne Stege miteinander verbunden, und ich denke bei jedem Schritt an das Schicksal von Sultan Muhammad Jamalul Alam II, der von 1906 bis zu seinem Malaria-Tod 1924 regierte. Jamalul Alam, der Urgrossvater des jetzigen, milliardenschweren Herrschers Hassanal Bolkiah, war arm. Man erzählt sich, dass er in seiner Residenz, die wie damals alle Häuser von Bandar Seri Begawan auf Pfählen gebaut war, durch ein altersschwaches Bodenbrett durchgebrochen sei. Viele Planken wirken auch heute morsch oder sind bereits geborsten. Während die Bewohner der pittoresken Quartiere darüber hinweg zu schweben scheinen, tasten sich die wenigen Touristen mit vorsichtigen Schritten vor.

Wasserdorf in Bandar Seri Begawan, Brunei.

Foto: Artur K. Vogel

Brunei versteht sich als moderner Staat, und es gibt Umsiedlungsprogramme von den «Wasserdörfern» auf das Festland. Bereits mussten einzelne Pfahlbauquartiere Uferpromenaden, Stadtparks und neuen Stadtquartieren weichen, und die Bevölkerung, die noch auf dem Wasser lebt, schrumpft. Aber so rasch dürften die Stelzendörfer nicht verschwinden: Man sieht sogar Neubauten auf dem Wasser.

Moschee im Mittelpunkt

Vor rund zehn Jahren vom Pfahlbaudorf aufs Festland umgezogen ist ein Mann, der sich schlicht «Z» nennt. Sein richtiger Vorname sei zu kompliziert, sagt er. Z ist Aufseher in der prachtvollen Moschee von Omar Ali Saifuddien III, dem Vater des heutigen Sultans, der von 1950 bis 1967 regierte. Die Moschee mit Platz für 3000 Gläubige, fertiggestellt 1958, ist eine eklektische Mischung traditioneller indischer und einheimischer malaysischer Stile, ausgeführt in glänzend poliertem italienischem Marmor mit kunstvollen Säulen und reich dekorierten Innenräumen mit Mosaiken und ausufernder arabischer Kalligrafie.

Bandar Seri Begawan Moschee, Brunei.

Foto: Artur K. Vogel

Die Moschee steht in einer künstlichen Lagune, in der auch die Nachbildung einer königlichen Barke aus dem 16. Jahrhundert zu bewundern ist. In der untergehenden Sonne, aber auch mit der raffinierten nächtlichen Beleuchtung erhält das Ensemble mit seiner dominanten vergoldeten Kuppel eine magische Präsenz.

Bandar Seri Begawan, königliche Barke, Brunei.

Foto: Artur K. Vogel

Das Bauwerk ist nicht nur Gebetsstätte und Ort für religiös verbrämte staatliche Zeremonien, sondern auch die wichtigste touristische Sehenswürdigkeit des Landes. Dummerweise hatte ich die Besuchszeiten für nicht-muslimische Touristen verpasst. Z liess mich trotzdem hinein, und wir hatten danach eine ausgiebige Diskussion über Gott und die Welt, im wahrsten Sinn des Wortes.

Z in der Moschee des Omar Ali Saifuddien, Brunei.

Foto: Artur K. Vogel

Milliardenschwerer Sultan

Brunei heisst offiziell Negara Brunei Darussalam («Staat Brunei, das Land des Friedens»). Im 15. Jahrhundert konvertierte der damalige Herrscher Awang Alak Betatar vom Hinduismus zum Islam und nahm den Namen Sultan Muhammad an. Er begründete die muslimische Dynastie, die seither ununterbrochen regiert. Bekannt ist Brunei unter anderem dank dem 29. Sultan, Hassanal Bolkiah (79), und dessen Autofimmel: Der Monarch soll zwischen 5000 und 7000 Automobile besitzen, darunter 600 Rolls-Royces, 380 Bentleys und 550 Ferraris. Nachzählen konnte ich nicht; die Sammlung ist nicht zugänglich; es gibt nur ein paar Videos dazu auf Youtube und einige geleakte Fotos aus dem Jahr 2001.

Auch Bolkiahs Palast Istana Nurul Iman ist beachtlich: Mit 1788 Räumen ist er laut Guinness-Buch der Rekorde die weltweit grösste Residenz eines Staatschefs. Auch hier bin ich auf unüberprüfbare Informationen angewiesen. Autos und Palast sind nicht seine einzigen Extravaganzen. Der Sultan besitzt angeblich einen Privatzoo mit 30 bengalischen Tigern, eine Kunstsammlung, in welcher unter anderem ein Renoir hängt, der ihn 70 Millionen Dollar kostete. Und er lässt, so wird gemunkelt, seinen Coiffeur aus dem Dorchester-Hotel in London einfliegen – das ihm ebenfalls gehört. Hassanan Bolkhiah hat zwölf Kinder von drei Frauen, wobei ein Sohn an einer schweren Krankheit bereits verstorben ist.

Banknote Brunei mit Sultan Hassanal Bolkiah.

Foto: Artur K. Vogel

Überprüfbar ist, dass Hassanal Bolkiah seit 1967 auf dem Thron sitzt und folglich, seit dem Ableben von Königin Elizabeth II, das am längsten amtierende Staatsoberhaupt ist. Er ist König, Ministerpräsident, Verteidigungs-, Aussen- und Finanzminister in Personalunion und zudem der oberste Hüter der islamischen Staatsreligion.

Seit 1888 war Brunei britisches Protektorat – mit Ausnahme der Jahre 1942 bis 1945 unter japanischer Besetzung. Ein britischer «Resident» bestimmte weitgehend die Staatsgeschäfte und wachte über die Finanzen. Seit der definitiven Unabhängigkeit von Grossbritannien 1984 ist es dem Sultan aber gelungen, die Grenzen zwischen der Staatskasse und seinem persönlichen Einkommen niederzureissen. Brunei taucht dank dem Erdöl, dessen kommerzielle Förderung 1932 begann, regelmässig auf den Listen der zehn reichsten Länder der Welt auf. Das staatliche Budget für das laufende Jahr beträgt 6,35 Milliarden Brunei Dollar (4,2 Milliarden Franken). Wie viel davon in die Schatullen der königlichen Familie fliesst, ist geheim. Ihr Vermögen wird auf über 20 Milliarden Franken geschätzt, aber das ist pure Spekulation.

Bruneis unerwartete Seiten

Am Ende blieb ich vier Tage in Brunei. Langweilig war es nicht. Vor allem nicht am letzten Abend. Ich ass in einem hervorragenden Restaurant (dessen Namen ich nicht verrate, um dem Chef keine Probleme zu bescheren). Dort speiste auch eine Tochter des Sultans, eine echte Prinzessin, mit ihrer Entourage. Am Tisch neben mir sassen die Bodyguards, eine Frau und drei Männer. Als die Gesellschaft gegangen war, kam ich mit dem Restaurant-Manager, einem Malaien, und einer Serviererin von den Philippinen ins Gespräch. Nachdem wir ein paar Stunden geschwatzt hatten, holte er eine Kühltasche aus einem Hinterraum und zauberte ein paar Dosen Bier hervor. Wenn ich nächstes Mal in der «Drunk Monkey Bar» in Kuching versumpfe, werde ich verkünden, dass die meisten Vorurteile über Brunei nicht zutreffen.

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