Nostalgie im herbstlichen Chile

Chile ist für mich eine Herzensangelegenheit. Dreizehn Jahre lang habe ich den Schweizer Winter gegen den patagonischen Sommer eingetauscht. Es war jedoch schon eine Weile her, seit ich meine zweite Heimat zuletzt besucht hatte – bis zu diesem Anruf, der mich nun in die unbekannte Region La Serena brachte. Eine Entdeckung!

Nostalgie im herbstlichen Chile

Ob ich Lust hätte, ihr Zuhause für drei Wochen zu hüten, fragt mich Karin. An einem traumhaften Stück Erde direkt an der chilenischen Pazifikküste hat sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Paulo ein kleines Paradies aufgebaut. Die paar Worte reichen. Die Sehnsucht nach dem Duft des Meeres, den rauen, aber herzlichen Menschen, dem eigenwilligen Klang des Chileno ist erwacht. Wie sollte ich auf dieses Angebot verzichten können?

Und so geht es für mich Mitte Mai los Richtung La Serena, einer schmucken Kleinstadt 420 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago de Chile. Nur wenige internationale Touristen finden hierher. Die Konkurrenz mit der Schönheit der nahegelegenen Atacamawüste und der schroffen Bergwelt Patagoniens im Süden ist gross. Dass die zweitälteste Stadt Chiles mit diesen grossen Namen mithalten kann, wird sie mir in den nächsten Tagen beweisen.

Aussicht auf die chilenische Pazifikküste.

Foto: TravelMagazin

Der Mai ist bereits winterlich kalt. Es herrscht Nebensaison und die Pandemie ist immer noch spürbar. Der morgendliche Küstennebel tut das Seine dazu, um mich zu Beginn der Reise zwischen Wehmut und Freude hin und her schwanken zu lassen. Die übliche Vertrautheit, welche mich normalerweise bei der Ankunft in Chile umströmt, ist noch nicht zurück, zu lang war die Abstinenz. Dies ändert sich allmählich, als ich mich zur Strandpromenade Avenida del Mar begebe. Im chilenischen Sommer von Dezember bis März wimmelt es hier von chilenischen Badetouristen. Der Januar ist mit Temperaturen bis zu 30 Grad auch der wärmste Monat des Jahres. Heute, an jenem Tag im Mai im chilenischen Winter, gehört der kilometerlange Sandstrand praktisch mir allein. Ich geniesse den ausgiebigen Spaziergang vom Wahrzeichen der Stadt, dem Leuchtturm Faro Monumental, bis in die etwa zehn Kilometer entfernte Nachbarstadt Coquimbo. Mit jedem Schritt entlang des wilden Pazifiks wird mein Herz leichter und die Magie Chiles kehrt zurück.

Strandpromenade von Avenida del Mar Chile.

Foto: TravelMagazin

Die Stadt Coquimbo ist eine typische chilenische Hafenstadt. Der Lebensrhythmus richtet sich hier auf das Meer und seine Schätze aus, wie ein Besuch auf dem lokalen Fischmarkt bestätigt. Der frische Fang landet frühmorgens direkt von den Booten auf den Marktständen. Der Duft ist penetrant, es wird gelacht und gefeilscht, lauthals diskutiert. Ohne es zu merken, werde ich Teil des quirligen, chaotisch-charmanten Alltags Chiles. Nach dem Marktbesuch geht es hoch zum 92 Meter hohen «Kreuz des dritten Jahrtausends». Ein eindrückliches Fotosujet und zugleich einer der besten Aussichtspunkte der Stadt. Ich warte bis zum Sonnenuntergang und als die gesamte Küste in orangerotem Abendlicht leuchtet, spüre ich: Nun bin ich angekommen. Übrigens: Die Sonnenuntergänge in La Serena zählen zu den schönsten des ganzen Landes. Schon allein dafür lohnt sich ein Abstecher in diese doch recht unbekannte Region. Und wegen der wilden Wellen des Pazifiks.

Sonnenuntergang an der Küste von Chile.

Foto: TravelMagazin

Denn am nächsten Tag nimmt sich Romy von der lokalen Surfschule Evolutive meiner an. Es braucht für mich einige Überwindung, bei zwölf Grad Wassertemperatur in die Wellen des Pazifiks zu steigen. Und das Meer kennt keine Gnade mit mir, zeigt sich unsanft, schleudert mich umher und entlockt mir trotz allem ein riesiges Grinsen. Zurück bei der Surfbasis geniesse ich einen wärmenden Kaffee auf der Terrasse des süssen Coffeeshops. Ich lächle beim Gedanken, wie ähnlich sich doch der Pazifik und seine Küstenbewohner sind: wild und wunderbar.

Surfen am Strand von La Serena Chile.

Foto: TravelMagazin

Natürlich darf ich nicht von hier weg, ohne dem östlich von La Serena gelegenen Elqui-Tal einen Besuch abzustatten. Das Valle de Elqui ist eines der wichtigsten Weinanbaugebiet Chiles. Hier wird in kleinen Produktionsstätten der Nationalschnaps Pisco hergestellt. Mit dem Auto schlängle ich mich 140 Kilometer hoch Richtung Berge. Längst habe ich mich wieder an den lokalen Fahrstil gewöhnt. Die Berggipfel sind bereits gezuckert vom ersten Schnee, während sich die tiefer gelegenen Reben golden verfärben. Was für ein Farbenspektakel! Je weiter ich ins Tal hineinfahre, umso mehr spüre ich eine fast übernatürliche Energie. Diese wird dem vielen Quarzvorkommen und dem hohen Magnetismus zugeschrieben, erzählt mir Lincoln. Er führt mich heute durch sein Heimattal, wo auch das Geburtshaus von Gabriela Mistral steht. Das heutige Museum ist dem Leben und Wirken der chilenischen Dichterin gewidmet, die im Jahr 1945 als erste lateinamerikanische Frau mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Das Gefühl, im Valle de Elqui dem Universum besonders nahe zu sein, verstärkt sich nachts, wenn der gewaltige Sternenhimmel über dem Tal zu funkeln beginnt.

Das Elqui-Tal in den Weinbergen von Chile.

Foto: Shutterstock

Jacquelines-Tipp

Das Pingüino de Humboldt

Wer La Serena im Sommer besucht, der sollte einen Ausflug zum Naturreservat «Pingüino de Humboldt» einplanen. Verschiedene Reiseveranstalter bieten Ausflüge per Schiff zu den Inseln Damas und Choros an. Hier tummeln sich die niedlichen Humboldt-Pinguine, unzählige Kormorane, Seelöwen, Pelikane und mit etwas Glück können auch Delfine beobachtet werden.

Chile, du hast es geschafft. Ich habe mich einmal mehr in deinen unverblümten Charme verliebt. Und deshalb empfehle ich all jenen, denen Authentizität, Unverbrauchtheit, herzliche Menschen, gutes Essen und atemberaubende Naturschönheiten wichtiger sind als vielfach beworbene Sehenswürdigkeiten, bei der nächsten Südamerikareise einen Besuch in La Serena und Umgebung einzuplanen.

Travel Basics

Hinkommen Von Zürich geht es mit einmaligem Umsteigen nach Santiago de Chile. Beispielsweise mit Iberia über Madrid. Nach La Serena geht es ab der Hauptstadt mit dem Bus. iberia.com

Reinkommen Zur Einreise genügt ein Reisepass.

Informationen: chile.travel

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