Ein reiseerfahrener Kollege hatte mich gewarnt: «Ich war vor zwanzig Jahren auf Penang; es ist ziemlich dicht besiedelt.» Das hat sich inzwischen geändert: Die Insel Penang im gleichnamigen Bundesstaat im Nordwesten Malaysias ist, mit knapp 300 Quadratkilometern, gleich gross wie der Kanton Schaffhausen, hat aber fast zehnmal mehr Einwohner, nämlich 800’000. Die Insel, mit anderen Worten, ist inzwischen extrem dicht besiedelt.
Ich bin am späteren Abend von Bangkok mit Thai Airways angereist. Schimpf und Schande über mich! Die ökologische Sünde ist meiner Faulheit zuzuschreiben. Ich hätte auch Überlandbusse nehmen können oder den Zug. Die Strecke von Bangkok durch den Süden Thailands und die malaysische Halbinsel über Kuala Lumpur bis hinunter nach Singapur wird von Reisezügen der Staatsbahnen ebenso befahren wie vom privaten Eastern & Oriental Express. Dieser hätte für eine dreitägige Fahrt, während der man im Luxus schwelgt, mein Reisebudget für einen ganzen Monat verpufft.
Wäre ich nicht geflogen, hätte ich ein Spektakel verpasst: Vor dem nächtlichen Anflug auf den Flughafen im Süden der Insel Penang breitet sich eine hell erleuchtete Grossstadt unter uns aus. Wir landen praktisch zwischen Hochhäusern.
Am nächsten Tag fahre ich mit der Standseilbahn, gebaut von der Schwyzer Firma Garaventa, durch dichten Regenwald auf den höchsten Punkt der Insel, den 833 Meter hohen Penang Hill. Unter mir breitet sich eine einzige, zusammenhängende Überbauung der gesamten Süd-, Ost- und Nordküste aus; das bewaldete Inselinnere und die Westküste sind noch verschont.

Foto: Artur K. Vogel
240-jährige britische Siedlung
Dass in George Town, der Hauptstadt von Penang, gemeinsam mit der Stadt Malakka, die gut 500 km südlich liegt, seit 2008 das Unesco-Verzeichnis des Weltkulturerbes waltet, begründet die UNO-Unterorganisation für Erziehung, Kultur und Wissenschaft so: «Mit seinen Wohn- und Geschäftshäusern repräsentiert George Town die britische Ära vom Ende des 18. Jahrhunderts. Die beiden Städte bilden ein einzigartiges architektonisches und kulturelles Stadtbild, das in ganz Ost- und Südostasien seinesgleichen sucht.»
George Town wurde 1786 als erste britische Siedlung in Südostasien gegründet, und zwar von der privaten Britischen Ostindien-Kompanie als Stützpunkt auf den Handelsrouten zwischen Asien und Britannien. Benannt wurde sie zu Ehren des britischen Langzeit-Königs George III, der von 1760 bis 1820 regierte.
Als Europäer begehen wir oft den Fehler, den Beginn der Geschichte einer fernen Region mit dem Beginn ihrer Kolonialisierung gleichzusetzen. Doch Penang war 1786, als die Briten kamen, keineswegs Niemandsland. Es gehörte zum Sultanat Kedah, das seit fast 900 Jahren und bis heute von der Stadt Alor Setar aus von derselben muslimischen Familie regiert wird und dank Landwirtschaft und der strategischen Lage zwischen China und Indien ziemlich wohlhabend war.

Foto: Artur K. Vogel
König auf Zeit
Als ehemaliger politischer Journalist kann ich mir einen politischen Exkurs nicht verkneifen: Das Königreich Malaysia besteht aus 13 Bundesstaaten, von denen neun von Sultanen, also muslimischen Herrschern, geführt werden und vier von Gouverneuren.
Die Malaiische Föderation wurde 1957 unabhängig, nachdem die Halbinsel 450 Jahre lang von europäischen Mächten dominiert worden war, den Portugiesen, den Holländern und zuletzt den Briten. 1963 schlossen sich Sarawak und Sabah auf der Insel Borneo sowie Singapur der Föderation an, die den Namen Malaysia annahm. Singapur spaltete sich aber 1965 nach ethnischen und politischen Konflikten wieder ab und wurde zum selbständigen Stadtstaat.
Der König von Malaysia, offizieller Titel Yang di-Pertuan Agong, wird alle fünf Jahre nach einem Rotationsprinzip aus den Reihen der neun regierenden Sultane gewählt. Der 17. König von Malaysia ist seit Anfang 2024 Ibrahim Iskandar, der gleichzeitig Sultan des Bundesstaates Johor an der Grenze zu Singapur ist. Der Yang di-Pertuan Agong residiert im Königspalast von Kuala Lumpur; wenn er anwesend ist, flattert über der zentralen Kuppel seine gelbe Flagge.

Foto: Artur K. Vogel
Räucherstäbchen und Stinkfrüchte
Zurück nach Penang: Während der Rest der überbauten Insel eine uferlose Betonwüste ist, kann man im Stadtzentrum von George Town und in der Altstadt noch ganze Strassenzüge im kolonialen oder altmodisch-chinesischen Stil bewundern.
Hier herrscht Multikulti; viele Läden und Firmen sind auf Malay, Sanskrit, Mandarin und Arabisch beschriftet. Ob ich mich in einem chinesischen, indischen oder muslimischen Quartier bewege, ist an den Kleidern der Leute ablesbar, an den Kopftüchern der Musliminnen oder den langen, farbenfrohen Gewändern der Inderinnen. Auch Gerüche unterscheiden sich: Curry und Räucherstäbchen bei den Indern, Knoblauch und gebratenes Fleisch bei den Chinesen.

Foto: Artur K. Vogel
Nur die Vorliebe für Durian teilen alle, und in Hotelzimmern kleben Verbotsschilder für Rauchen, Haustiere und Durian. Die Frucht, an Strassenständen und in Läden zu stolzen Preisen bis 15, 16 Franken pro Kilo angeboten, wird nicht ohne Grund «Stinkfrucht» genannt. Ihr Geruch ist faulig, das Fruchtfleisch angeblich delikat; ich habe es nicht zu probieren gewagt.

Foto: Artur K. Vogel
Wie im Krieg
Ein ähnliches Völkgergemisch und Quartiere wie «Little India» oder «Chinatown» findet man in vielen malaysischen Städten: in der Mega-Metropole Kuala Lumpur sowieso, aber zum Beispiel auch in Ipoh, der Hauptstadt des Sultanates Perak zwischen Penang und Kuala Lumpur.
Der Besitzer des Hotels in Ipoh ist ethnischer Chinese, die Rezeptionistin eine malaiische Muslimin. Ronnie, der Guide in Penang, ist Sikh; seine Vorfahren stammten aus dem Punjab. In Kuala Lumpur fährt mich eine Inderin zum Busbahnhof, die ursprünglich katholisch war, wegen eines Mannes aber zum Hinduismus konvertierte. In Ipoh besuche ich eine altmodische Bar, deren 85-jähriger Besitzer ein Singhalese ist, dessen Eltern aus Sri Lanka einwanderten, und der mit einer Tamilin verheiratet ist.
Ipoh, einst ein Dorf, wuchs ab 1880 rapide, als in seiner Umgebung riesige Zinn-Vorkommen entdeckt wurden. Zehntausende Chinesen kamen als Arbeiter in die Stadt, die sie bis heute prägen: Sie stellen 44 Prozent der rund 800’000 Einwohner, Bhumiputera (also die meist muslimischen Malaien) nur 38 und Inder 14 Prozent.
Ich habe das Vergnügen, während des chinesischen Neujahres, das über Tage hinweg gefeiert wird, in Ipoh zu sein. Halbe Nächte lang gemahnt die Geräuschkulisse an Krieg: Dumpfe Detonationen von Feuerwerk wechseln ab mit schweren Explosionen und minutenlangen Salven von Knallkörpern.

Foto: Artur K. Vogel
Ab auf die Insel!
Nach meinen Erlebnissen in Ipoh und Penang brauche ich ein paar Strand-Tage. Ich fahre mit einem klimatisierten Überlandbus vom modernen, gut organisierten Bus-Terminal Penang Sentral 150 Kilometer Richtung Norden über Alor Setar nach Kuala Perlis und von dort mit einer Autofähre hinüber auf die Insel Langkawi.

Foto: Artur K. Vogel
«Langkawi ist sehr stark muslimisch geprägt», hatte mich derselbe, reiseerprobte Kollege informiert. Im Inselhauptort Kuah, einem verschlafenen Kaff, das an Städte im amerikanischen Wilden Westen erinnert, herrscht das Kopftuch vor. Das will aber nichts heissen: Langkawi ist zollfreies Gebiet und damit ein Einkaufsparadies für Parfüm, Schokolade – und Alkohol. An den Wänden von Duty-Free-Läden schimmern Reihen von Whisky-, Gin-, Rum- und Cognacflaschen im gedimmten Licht, während die Kasse von zwei kichernden Musliminnen bedient wird. Diese wickeln dann den erstandenen Single Malt diskret in eine alte Zeitung ein.
Am langen, erst zum Teil verschandelten Strand von Cenang, an dem ich mich eine Woche lang von verflossenen Abenteuern erhole, stellt sich dann, barfuss im Sand spazierend, bald dieses unnachahmliche Kurzehosen-Feeling ein. Es erreicht zum Sonnenuntergang bei einem Cocktail in einer Strand-Bar seinen Höhepunkt, um dann in einem malaysischen, chinesischen oder japanischen Restaurant auszuklingen. Oder ich lasse mich in ihrer Strassenküche von Siti verwöhnen, einer Muslimin vom Festland, die nicht nur köstliche Grillgerichte zubereitet, sondern auch das billigste Tiger-Bier der ganzen Insel anbietet.

Foto: Artur K. Vogel