• Vogel unterwegs (9)

Mohammed, Buddha, Jesus und Krishna

In Malaysia leben Religionsgemeinschaften relativ problemlos nebeneinander, was für die Stabilität des Vielvölkerstaates unabdingbar ist. Allerdings geht es nicht ganz ohne Reibungen ab, wie Artur auf seiner Reise erfährt.

Mohammed, Buddha, Jesus und Krishna

Als Adrian Iten von der Kaffeebar «Adrianos» beim Zytglogge in Bern ein zweites Lokal namens «Colonial» eröffnete, trat er einen Shitstorm los und musste den Namen ändern. Jede vermeintliche Glorifizierung des Kolonialismus weckt in Europa heftige Emotionen. Malaysia hingegen hat Kolonialismus selber erlebt: 1511 kamen die Portugiesen, später die Niederländer und ab Ende des 18. Jahrhunderts bis in die 1950er-Jahre die Briten, die 1942 bis 1945 von den Japanern vorübergehend verdrängt wurden. Trotzdem hat Malaysia ein weniger gestörtes Verhältnis zur Kolonialgeschichte als wir.

So haben einige Städte wie George Town oder Butterworth und viele Strassen ihre britischen Namen behalten. Das gilt auch für ein beliebtes Reiseziel der Malaysier, in welches ich mit dem Bus von der 90 km entfernten Stadt Ipoh angereist bin. Es trägt den Namen des britischen Geologen, Kriegsreporters und Bankers William Cameron (1833-1886), der die Gegend erforschte.

Mehr als 70 Prozent der Cameron Highlands sind von Urwald überwachsen, auch der höchste Berg der Region, der 2030 Meter hohe Gunung Brinchang. Auf einem Lehrpfad am Gipfel erkunden wir die Flora und erhaschen dazwischen Blicke in die Täler. Diese sind teilweise in einen hellgrünen Raster gelegt: Der Schotte John Archibald Russell liess hier ab 1929 Malaysias erste Teeplantage anpflanzen. Heute leitet Caroline Russell, Archibalds Enkelin, die Firma. In einem Besucherzentrum lernen wir alles über Anbau und Geschichte des Tees. Zudem lassen wir die Blicke über die harmonische Synthese von Natur und Kultur schweifen, wie sie der Teeanbau schafft.

Teeplantage Besucherzentrum, Cameron Highlands.

Foto: Artur K. Vogel

Vaters Gästehaus

In Cameron Highlands habe ich mich in «Father’s Guesthouse» einquartiert, einer angenehmen und preisgünstigen Unterkunft wenige Fussminuten vom Zentrum des Hauptortes Tanah Rata entfernt. An der Rezeption prangt ein Bild des französischen Paters Nicolas Barré (1621-1686), und mir geht ein Licht auf: «Vaters Gästehaus» ist eine katholische Institution.

Barré förderte die Bildung armer Kinder, vor allem Mädchen. 1662 gründete er das Institut «Schwestern vom Kind Jesus», das heute in 18 Ländern Bildung anbietet, in Malaysia unter anderem in Cameron Highlands. Also geht es im Gästehaus sehr katholisch zu und her, frage ich eine Rezeptionistin. «Ganz und gar nicht», lacht sie. «Ich selbst glaube an nichts. Meine Kollegin ist Muslimin. Und an unserer Schule werden Mädchen und Buben gemeinsam unterrichtet» – im konservativen Malaysia nicht selbstverständlich.

Islam als Staatsreligion

Knapp zwei Drittel der Malaysier bekennen sich zum sunnitischen Islam. Die Verfassung ist ambivalent: Einerseits benennt sie den Islam als Staatsreligion; anderseits postuliert sie einen säkularen Staat. Andere Religionen können demnach legal ausgeübt werden, doch Christen wie Hindus und Buddhisten beklagen Situationen der Diskriminierung.

In meinem Hotel «Vintage Villa» in Kuah auf der Insel Langkawi (Vogel unterwegs 8) sitzt eine überaus kompetente Frau an der Rezeption. Im Lauf unserer Gespräche stellt sich heraus, dass sie als Katholikin zum Islam übertreten musste, als sie einen Muslim heiraten wollte.

Das Umgekehrte, der Übertritt vom Islam in eine andere Religion, ist ungleich schwieriger. So weit wie andere Länder, zum Beispiel Iran, Saudi-Arabien, Jemen, Mauretanien, Afghanistan oder Katar, in denen der Abfall vom Glauben mit der Todesstrafe geahndet wird, geht Malaysia nicht. Aber ein Scharia-Gericht befindet darüber, ob jemand austreten darf oder nicht. Das Gericht kann drakonische Strafen gegen Austrittswillige verhängen.

«In der Realität ist es fast unmöglich, vom Islam zum Christentum überzutreten», sagt ein katholischer Geistlicher, der seinen Namen nicht in den Medien wiederfinden will und zudem über staatliche Schikanen klagt. Er selbst lebe in ständiger Unsicherheit, denn «es ist strikte verboten, mit Muslimen über das Christentum zu reden».

Falsche Götter ablehnen

Für den Islam gilt diese Regel nicht. Vor der Kampung Kling Moschee in der Altstadt von Malakka sitzt eine Frau mit Kopftuch, auf einem Schildchen als «Volunteer» betitelt. Ich habe, seit mehr als drei Monaten im schwülheissen Südostasien unterwegs, meinem einstigen, formellen Kleiderstil entsagt und trage Shorts. Weil diese gemäss einem Plakat am Eingang als unschicklich katalogisiert sind, darf ich die Moschee nicht betreten.

Kampung Kling Moschee in Malakka, Malaysia.

Foto: Artur K. Vogel

Ob ich an Gott glaube, will die Frau wissen. Ich sei als Katholik erzogen worden, antworte ich ausweichend. «Sie wissen aber, dass der Islam die einzige wahre Lehre ist?» Das erinnert mich an die Primarschulzeit in Luzern, als uns katholische Geistliche einbläuten, nur unsere eigene Konfession entspringe dem Willen Gottes.

Die Volontärin vor der Moschee drückt mir eine Broschüre in die Hand: «Der Koran – die endgültige Offenbarung für die Menschheit». Darin lese ich, «weil Allah der einzige Anbetungswürdige ist, müssen falsche Götter und Gottheiten abgelehnt werden». Dass mehrere Muslime in Deutschland gerade in diesen Tagen Terroranschläge verübt haben, bestärkt nur die Erkenntnis, dass der Absolutheitsanspruch von Religionen jeder Couleur in der Geschichte der Menschheit immer wieder zu Krieg und Gewalt geführt hat.

Malaysia wurde im 14. und 15. Jahrhundert gleichzeitig wie Indonesien unter dem Einfluss arabischer Händler und Seeleute islamisiert. Trotz der Dominanz des Islam ist die religiöse Vielfalt im ganzen Land auffällig. Unterschiedlichste Kultstätten – Moscheen, Kirchen, hinduistische, buddhistische, taoistische Tempel – finden sich auf engstem Raum. Fährt man zum Beispiel mit der Standseilbahn auf den höchsten Punkt der Insel Penang, stehen dort ein verschnörkelter hinduistischer Tempel und eine Moschee mit goldenen Kuppeln fast direkt nebeneinander.

Ganz in der Nähe der Talstation besuche ich den Kek Lok Si Tempel, eine prachtvolle Anlage, die gleichzeitig beweist, dass es fernöstliche Religionen mit dem Anspruch auf die alleinige Wahrheit nicht so ernst nehmen wie Christentum und Islam: Im Tempel finden sich Hunderte von Buddha-Statuen, aber auch eine 30 Meter hohe Bronzefigur von Kuan Yin, der Göttin des Mitgefühls, die vor allem im chinesischen Taoismus verehrt wird.

Kek Lok Si Tempel, George Town, Malaysia.

Foto: Artur K. Vogel

Karma und Reinkarnation

Vor der Islamisierung waren die Königreiche der malaiischen Halbinsel zum Teil buddhistisch, zum Teil hinduistisch geprägt. Die beiden Religionen sind noch präsent: Knapp 19 Prozent der Malaysier sind Buddhisten, gut sechs Prozent Hindus; Christen machen etwa einen Zehntel aus.

Buddhismus und Hinduismus vertreten beide das Konzept des Karma und der Reinkarnation: Die Seele wird nach dem Tod in einem neuen Körper wiedergeboren, je nachdem, welches Leben man geführt hat. Beide streben nach Erleuchtung, im Buddhismus Nirvana genannt. Der grosse Unterschied: Buddhisten kennen keine Gottheiten; Buddha ist ihr verehrtes Vorbild. 

Der Hinduismus ist noch etwa tausend Jahre älter. Und im Gegensatz zum Buddhismus gibt es hier eine komplexe Götterwelt. Deepak, ein Englischlehrer mit Wurzeln im südindischen Kerala, den ich bei den Batu-Grotten in Kuala Lumpur angesprochen habe, versucht, mich durch das göttliche Dickicht zu geleiten. Zuoberst thronen drei Haupt-Götter mit ihren Frauen: Brahma und Sarasvati, Vishnu und Lakshmi, Shiva und Parvati. Vishnu wird oft in der Inkarnation von Krishna verehrt. 

Als Statuen und Bilder sind in Hindu-Tempeln, Geschäften und Haushalten weitere Gottheiten präsent, zum Beispiel Ganesha mit dem Elefantenkopf, Hanuman der Affenkönig oder Murugan, Gott des Krieges. Bei der breiten Treppe mit 272 Stufen, die zu den Batu-Grotten hinaufführt, steht eine 43 Meter hohe goldene Statue von Murugan. Die Grotten sind ein bedeutender Pilgerort für Hindus. Bei meinem Besuch geht gerade Thaipusam zu Ende, das wichtigste Fest für tamilische Hindus. Eine Menschenmenge wogt über den Platz. An Hunderten Ständen werden Essen, Getränke, Souvenirs verkauft – und Regenschirme, weil gerade ein heftiges Gewitter niedergeht.

Kriegsgott Murugan, Batu Grotten Kuala Lumpur.

Foto: Artur K. Vogel

Liberaler Islam?

Neben prachtvollen Buddha- und Hindu-Tempeln fallen vor allem die Moscheen auf. Die «schwimmende Moschee» in Malakka zum Beispiel – so genannt, weil sie bei Flut auf dem Wasser zu schweben scheint – wird in der Nacht in allen Farben erleuchtet, welche die Neonröhren hergeben.

Die Kirchen hingegen halten sich auffällig zurück. So wirkt die anglikanische Kathedrale in Kuala Lumpur eher wie eine englische Dorfkirche als wie der Sitz des Bischofs für West-Malaysia.

In Europa hört man oft vom angeblich liberalen Islam, der in Malaysia und im benachbarten Indonesien herrsche. (Dieses ist mit mehr als 280 Millionen Einwohnern das weltweit grösste muslimische Land.) Der Liberalismus ist allerdings am Schwinden; auch hier gewinnt, wie fast überall, der konservative Islam allmählich die Oberhand. Wer sich Youtube-Filme aus dem Kuala Lumpur der 1960er-Jahre anschaut, sieht kaum Kopftücher. Heute sind sie allgegenwärtig; sogar Mädchen im Vorschulalter werden verhüllt.

Schwimmende Moschee in Malakka, Malaysia.

Foto: Artur K. Vogel

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