Es gibt Orte, von denen ich mich sofort angezogen fühle. Dazu gehört Kampot, eine Provinzhauptstadt im Südwesten des Königreichs Kambodscha mit etwa 50’000 Einwohnern. Sie liegt am Fluss Preaek Tuek Chhu, an dem es mitten in der Stadt sogar einen Sandstrand gibt. Und sie besticht mit ziemlich gut erhaltenen Strassenzügen aus der Zeit der französischen Kolonisierung zwischen 1863 und 1953.
Kampots Stadtteile beidseitig des Flusses werden unter anderem von der historischen Etanou-Brücke miteinander verbunden. Der «Vieux pont français» ist nur für Fussgänger, Scooter, Fahrräder und Tuk Tuks benutzbar. Nachts wird die Brücke, wie die ganze Uferpromenade, festlich (andere würden sagen: kitschig) beleuchtet. Das blaue Licht, in das sie getaucht wird, erzeugt eine surreale Wirkung.

Foto: Artur K. Vogel
Kampot liegt nicht auf den Trampelpfaden des Massentourismus. Trotzdem gibt es genug Besucher, zudem auch niedergelassene Ausländer, dass eine lebendige Gastro- und Barszene in der Innenstadt florieren kann. Für ihn gebe es keinen besseren Ort auf der Welt, sagt Alan, ein pensionierter Australier, der mit seiner kambodschanischen Frau hier lebt. Und auch Philippe, ein Franzose, der im Food-Court einen Essenstand betreibt, fühlt sich wie zu Hause.

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Ich fühle mich hier auch wohl. Geniesse im Restaurant «Seafood and Pepper» in einem prächtig renovierten Altstadthaus Austern und anderem Meeresgetier. Dann stromere ich durch die nächtlichen Strassen. Hier einen Dink nehmen, dort mich von einem Barmädchen im Pool-Billard besiegen lassen – das lässt ein unnachahmliches Feriengefühl aufkommen, mehr noch, als wenn ich mich an einer palmenbestandenen Beach rösten liesse. Die Beach gäbe es trotzdem, etwa 25 Kilometer südlich, in Kep am Golf von Thailand. Was sofort auffällt: Die Menschen baden hier in Kleidern, nicht in Badehosen und Bikinis. Und statt Liegestühlen werden Hängematten vermietet.
In Kep gibt es auch einen grossen Markt mit Essensständen, die exzellentes, gegrilltes oder geschmortes Meeresgetier anbieten. Er ist mit grünen Plastikblachen abgedeckt, unter denen es, bei Aussentemperaturen von weit über 30 Grad, mörderisch heiss wird, so dass der Schweiss in Bächen an einem hinunterrinnt.

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Die Region ist vor allem bekannt für den Kampot-Pfeffer. Eine Fahrt im Tuk Tuk nach La Plantation, der grössten Pfefferfarm der Region, drängt sich auf. Guy Porré und Nathalie Chaboche, ein französisches Paar, gründeten die Plantage vor zwölf Jahren. Zuvor hatten sie in London in der IT-Branche gearbeitet.

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La Plantation ist eine auffällig gepflegte Anlage, in der nicht nur Pfeffer mit strikte biologischen Methoden kultiviert wird, sondern auch Bäume, Sträucher, Blumenbeete und Kräutergärten gepflanzt worden sind. La Plantation ist ein Vorzeigeunternehmen: Die Arbeitszeit der 300 Angestellten ist geregelt; die Löhne sind, im kambodschanischen Kontext, gut. Der kostbare Kampot-Pfeffer wird in die halbe Welt exportiert, doch man muss beim Kauf genau hinschauen: Das Gewürz wird, wie andere teure Markenprodukte, oft gefälscht.
Unter anderem wird auf La Plantation eine Kombination von Pfeffer und Meersalz abgefüllt. Auch dieses wird um Kampot in grossem Stil gewonnen: Meerwasser wird auf abgezirkelte Felder gepumpt und trocknet dort aus. Die verbleibende Salzkruste wird gewaschen und von anderen Mineralien wie Gips und Kalk getrennt, dann getrocknet und gesiebt. Auf den Salzfarmen geschieht der ganze Prozess noch in Handarbeit.

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Natürlich ist auch Kampot keine reine Idylle. So wurde direkt am Flussufer ein ganzes Strassengebiet abgerissen; wie ein offenes Geschwür steht nun ein halbfertiger Betonkoloss da.
Bestätigte Vorurteile
Verglichen mit dem 75 km westlich gelegenen Sihanoukville ist Kampot aber immer noch ein intakter Ort. Wenn es, wie gesagt, Orte gibt, die einen unmittelbar anziehen, so gibt es andere, die einen sofort abstossen. Ich gebe zu, dass ich schon mit Vorurteilen hingereist bin (die sich bestätigt haben). Dass es bei der Ankunft in Sihanoukville stark regnete, verbesserte den Eindruck nicht.
Gegründet wurde die Stadt Mitte der 1950er-Jahre von Franzosen, die hier einen Tiefseehafen bauten. Benannt wurde sie nach Norodom Sihanouk (1922–2012), der von 1941 bis 1955 und von 1993 bis 2004 König von Kambodscha war. Reiseberichte aus den frühen 1990er-Jahren schreiben von einem entspannten Badeort mit vielen Grünflächen, kleinen Häusern und unendlich langen, fast unberührten Sandstränden für Ruhesuchende und Rucksacktouristen. Allerdings sollen sich hier schon vor dreissig Jahren zwielichtige Russen aufgehalten und untereinander einige blutige Fehden ausgetragen haben.

Foto: Artur K. Vogel
Im neuen Jahrtausend nisteten sich chinesische Unternehmen ein, vor allem, nachdem die kambodschanische und die chinesische Regierung 2006 ihr Projekt einer Sonderwirtschaftszone umgesetzt hatten. 2013 integrierten die Chinesen diese in ihre «Belt and Road Initiative» (BRI), auch «Neue Seidenstrasse» genannt. Chinesische Propaganda verkauft die BRI als Beitrag zur Förderung von Welthandel und wirtschaftlicher Entwicklung; Skeptiker sehen dahinter den Plan der Volksrepublik, mit friedlichen Mitteln die Welt zu erobern.
In Sihanoukville entstanden Dutzende neuer Fabriken; Zehntausende Arbeitsplätze wurden geschaffen. Es wurden Hotels und Restaurants, Bürogebäude, Wohnblöcke mit Eigentumswohnungen und eine Reihe von Spielcasinos gebaut. Einst soll es rund 100 bereits aktive und geplante Casinos gegeben haben. Alles ist auf den chinesischen Markt ausgerichtet; als Europäer ist man ein Exot.

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Um 2017 kamen auch die Anbieter von Online-Glücksspielen. Die bereits bestehende Glücksspielindustrie, die lokale Führungsschicht, die dank den Chinesen unermesslich reich wurde, und eine sehr lasche Strafverfolgung trugen das ihre zur Entwicklung bei. Die Stadt veränderte sich dramatisch. In aller Eile wurden riesige Betonblöcke hochgezogen, oft von zweifelhafter Bauqualität. Drastischer Beweis dafür war der Einsturz eines Rohbaus im Stadtzentrum am 22. Juni 2019. 28 Arbeiter und ihre Familien, die auf der Baustelle lebten, starben.
Die Wende kam wenige Monate nach dem tödlichen Unglück: Am 18. August 2019 verbot Hun Sen, Kambodschas Langzeit-Regierungschef (von 1985 bis 1993 und von 1998 bis 2023 im Amt) die Online-Glücksspiele. Da diese zuletzt die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle Sihanoukvilles waren, begann nun der Niedergang. Die Corona-Pandemie gab der Stadt den Rest. Drastische Reisebeschränkungen in der Volksrepublik führten dazu, dass chinesische Spieler, chinesische Angestellte und chinesische Mafiosi nicht mehr reisen konnten.
Viele Betriebe wurden geschlossen, Personal abgezogen oder entlassen. Hunderttausende Chinesen verliessen das Königreich; in Sihanoukville wurden über Nacht mehr als 7000 Kambodschaner arbeitslos; rund 800 Restaurants gingen bankrott. Die Immobilienblase platzte; Baulöwen schrieben ihre Verluste ab, stellten die Bautätigkeit ein und machten sich aus dem Staub. Arbeiter wurden nicht mehr entlöhnt, Mieten und Rechnungen blieben unbezahlt. Im Juli 2022 zählte man in der Stadt mehr als 1150 unvollendete Bauten.

Foto: Artur K. Vogel
Einige Bauwerke sind inzwischen fertiggestellt worden; die Mehrheit nicht. Ich bin im Hotel «Legend» abgestiegen, einem glitzernden Neubau (mit Casino im Erdgeschoss, Pool und Bar auf dem Roof Top). Aus meinem Zimmer im 14. Stock blicke ich auf einen vergammelnden Rohbau, auf dessen Dach sich Wasserpfützen gebildet haben. Im Hintergrund sind weitere grosskalibrige Bauruinen auszumachen.
Es gibt Berichte, wonach sich inzwischen in vielen Hotels, Bürogebäuden und Casinos Online-Betrugsunternehmen eingenistet haben. In diesem Zusammenhang fällt auch der Begriff «Menschenhandel». Denn die Cyber-Kriminellen arbeiten offenbar zum Teil mit entführten IT-Fachleuten, die wie Sklaven gehalten werden. Natürlich kann ich diese Informationen nicht überprüfen. Sihanoukville ist mir, im Gegensatz zu Kampot, einfach zutiefst unsympathisch; das muss für einen Reisebericht reichen.