Plakate verkünden die Vorfreude Malakkas auf den 27. September 2025, wenn die Stadt als Gastgeber für den Welttourismustag 2025 auftreten wird. Die Veranstaltung der Tourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) wird Interessenvertreter und Experten aus allen Himmelrichtungen anlocken. Man möchte zu diesem Zeitpunkt unter keinen Umständen hier sein.
Denn auch zu normalen Zeiten mangelt es nicht an Besuchern. Auf dem Holländischen Platz vor der niederländisch-protestantischen Kirche von 1753 (jetzt Christ Church genannt und von Anglikanern genutzt) und dem noch hundert Jahre älteren Stadthuys, dem einstigen Sitz der holländischen Gouverneure, herrscht Party-Stimmung. Auf einer Bühne spielt eine sehr laute malaysische Band. Hunderte ausgelassener Menschen tummeln sich auf dem Platz, kaufen Fleischspiesse, Reisbällchen mit Huhn, Früchte oder Eiscrème an mobilen Ständen, sitzen am Brunnen, welcher der britischen Königin Victoria gewidmet ist, und trinken Säfte und Milch-Shakes.
Touristinnen mit ihren Kindern lassen sich in Fahrradrikschas durch die angrenzenden Strassen fahren. Deren Besitzer übertreffen einander mit Kitsch, Pomp und Lärm. Die Gefährte blinken in allen Farben des Regenbogens (und einigen mehr), sind mit Baldachinen ausgestattet und über und über mit Kunstblumen und Kuscheltieren verziert – Dumbo, Hello Kitty, Minnie Mouse und alles, was Disney-Animationsfilme hergeben. Jede Rikscha ist zudem mit einer Musikanlage bestückt, deren ohrenbetäubende Kakophonie der malaysischen Band akustisch Konkurrenz macht.

Foto: Artur K. Vogel
Wer es ruhiger mag, schlendert dem in allen Farben beleuchteten Malakka-Fluss mit seinen ebenfalls vielfarbigen Häuserzeilen entlang, in der sich eine Bar an die nächste reiht. Bei einem Bier oder Gin Tonic schaut man den flanierenden Menschen und den Touristenbooten zu, die flussauf- und flussabwärts das Wasser zerpflügen.

Foto: Artur K. Vogel
600 Jahre plastisch dargestellt
Malakka ist natürlich viel mehr als eine offene Festhütte; es ist ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch, welches die vergangenen 600 Jahre plastisch darstellt. Über diese kann man sich zudem in einer Reihe von Museen kundig machen.
Im 15. Jahrhundert wurde Malakka Sitz eines Sultans und Hauptstadt seines Königreiches. Der Gründer des Sultanats war der Hindu Paramesvara, dessen Regierungszeit irgendwo zwischen 1402 und 1424 liegt. Er soll 1409 zum Islam übergetreten sein, was historisch nicht eindeutig verifiziert ist. Trotzdem wird Paramesvara bis heute verehrt und steht offiziell am Beginn der islamischen Geschichte Malaysias (Vogel unterwegs (9))
In den Ruinen der portugiesischen Festung stellt ein Wandbild dar, wie die Stadt, die malaysisch Melaka heisst, zu ihrem Namen kam: Ermattet von der Jagd, ruhte sich Parameswara unter einem Melaka-Baum aus (laut Wikipedia bei uns «Orientalischer Merkfruchtbaum» genannt; ich gebe zu, dass ich den Namen noch nie gehört habe). Im kühlenden Schatten des Melakas hatte Parameswara die Intuition, ein Sultanat zu gründen und ihm den Namen des Baumes zu geben.
Malakka war schon bei den Griechen als «Goldene Halbinsel» bekannt, wurde später von Chinesen als Handelsplatz genutzt; auch Araber und Inder siedelten sich an. Eine gut erhaltene Chinatown und ein Viertel namens Little India zeugen von deren früher Präsenz. Der älteste chinesische Tempel Malaysias, Cheng-Hoon-Teng, steht in Malakkas Chinatown; er wurde 1645 erbaut, also kurz vor dem Stadthuys der Niederländer. Verehrt werden dort die drei in China wichtigsten Lehren des Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus.

Foto: Artur K. Vogel
Malakka war vom 15. bis 18. Jahrhundert eine wichtige Hafen- und Handelsstadt und eine Drehscheibe im Gewürzhandel, etwa mit Pfeffer, Gewürznelken und Muskatnüssen. Diese wurden unter anderem von den – heute indonesischen – Molukken hierher transportiert, die nicht ohne Grund «Gewürzinseln» genannt werden. Um 1500 war Malakka bereits eine Grossstadt, in der mehr als 100.000 Menschen lebten. (Zürich hatte um 1500 etwa 6000 Einwohner und London, die Hauptstadt der späteren Kolonialmacht, zwischen 50’000 und 125’000. Merci Wikipedia!)
Portugiesen, Holländer, Briten
1511 war Melakas Unabhängigkeit vorbei; die Stadt wurde von den Portugiesen erobert. «Diese Jahreszahl kennt jedes malaysische Kind auswendig», sagt Steven Yong, in dessen sympathischem Gästehaus an der Peripherie der Altstadt ich abgestiegen bin. 1511 war der Beginn einer 450-jährigen Kolonialgeschichte.
Der Kommandant der portugiesischen Besetzer, Afonso de Albuquerque, befahl den Bau einer Festung, die «A Famosa» (die Berühmte oder die Wunderbare) genannt wurde und aus Verteidigungsmauern und vier Türmen bestand. Heute ist davon, ausser der Porta Santiago (dem St.-Jakobstor) und einigen Mauerresten, nicht mehr viel übrig, denn die übernächsten Herren, die Briten, zerstörten 1806 die Festung systematisch. Bloss noch eine Ruine ist auch die Sankt-Pauluskirche aus dem späten 16. Jahrhundert mit den portugiesischen Seefahrergräbern auf dem Festungshügel.

Foto: Artur K. Vogel
Die Portugiesen blieben 130 Jahre; im Januar 1641 wurden sie von Truppen der damaligen Republik der Vereinigten Niederlande vertrieben. Aus der folgenden Zeit stammen die Niederländische Kirche und daneben das Stadthuys. In diesem, um 1650 erbaut, befindet sich heute das Historische Museum. Dessen Besuch fand ich besonders spannend. In der Schule wurde uns die Kolonialgeschichte fast immer aus Sicht der europäischen Eroberer erzählt. In Malakka erfährt man die malaysische Version aus der Perspektive der Eroberten.

Foto: Artur K. Vogel
Den Briten geschenkt
Nur einige Jahrzehnte später waren auch die Holländer weg: Sie übergaben Malakka den Briten. Mit dem Vertrag von London 1824 teilten die Niederlande und Grossbritannien ihre Einflusssphären auf: Die Briten beherrschten danach Indien mit Bangladesch und Pakistan, dazu Myanmar (Burma), Malaysia und Singapur. Die Niederländer sicherten sich das heutige Indonesien und einige Inseln südlich von Singapur und erhielten den britischen Handelsposten Bengkulu an der Westküste Sumatras.
Während Briten und Holländer nur noch mit ihren Bauwerken präsent sind, setzten sich die Portugiesen längerfristig nieder. Mehrere tausend Nachfahren der Kolonialisten leben etwas ausserhalb des Stadtzentrums in der so genannten portugiesischen Kolonie. Sie sind katholisch und redeten bis vor kurzem ein altertümliches Portugiesisch. Leider sei dieses am Aussterben, sagt mir eine Frau in einem Seafood-Restaurant in der Kolonie. «Die Jungen lernen neben Malaysisch lieber Englisch.»

Foto: Artur K. Vogel
Umstrittener Seeweg
Malakka hat seine Bedeutung als Hafen- und Handelsstadt weitgehend verloren und lebt heute einerseits von den riesigen Palmöl- und Kautschuk-Plantagen in seinem Umland, anderseits vom Tourismus. Und doch hat die Stadt einer der weltweit wichtigsten Handelsrouten den Namen gegeben. Ich war 2023 zweimal auf dem Suezkanal vom Roten Meer ins Mittelmeer. Auf dem Kanal herrscht dichter Verkehr: Etwa 20’000 Schiffe passieren ihn jedes Jahr. Der Panamakanal, vor allem für die USA von Bedeutung, wie Donald Trumps imperialistische Gelüste unlängst demonstriert haben, wird jährlich von rund 14’000 Schiffen befahren.
In der Strasse von Malakka, man muss sich das vorstellen, verkehren jedes Jahr rund 100’000 Schiffe. Die Strasse ist der kürzeste Seeweg zwischen dem Südchinesischen Meer im Pazifik, dem Indischen Ozean und letztlich dem Mittelmeer und Europa.
Etwa ein Drittel der weltweit gehandelten Waren kommen hier vorbei: Öl aus dem Persischen Golf für die asiatischen Märkte, westliche Industrie- und Pharmaprodukte; in umgekehrter Richtung Fernseher und andere elektronische Geräte, Autos, Maschinen, chemische und pharmazeutische Produkte, Kleider und Möbel aus China, Südkorea und Japan. Auch Kohle und Palmöl, Reis und Soja werden in grossen Mengen durch die Strasse von Malakka verschifft.
Mit Spannung blicken vor allem die Chinesen auf die Meeresstrasse: 80 Prozent des Erdöls für die Volksrepublik werden durch diese transportiert. In Peking werden Szenarien ausgearbeitet, falls die Amerikaner bei einem eskalierenden Konflikt die Strasse blockieren und damit Chinas Energieversorgung treffen sollten. Anrainerstatten hingegen befürchten eher Gelüste der chinesischen Grossmacht, den Seeweg unter ihre Kontrolle zu bringen, wie das die Chinesen beim Panamakanal mit einigem Erfolg bewerkstelligt haben.
Die paar Piratenüberfälle der letzten Jahre in der Strasse von Malakka nehmen sich, verglichen mit einem Konflikt globalen Ausmasses, ziemlich harmlos aus.