- Afrika
Auf der Suche nach der Serengeti
Reisejournalist und Tierfreund Christian Bauer träumt seit Jahren von einem Besuch im Serengeti-Nationalpark. Endlich ist es so weit. Doch seine Enttäuschung ist gross – bis er seine Erwartungen überwindet.
In der Serengeti ists wie im richtigen Leben: Vor dem grossen Glück kommt die Enttäuschung. Und eine Priese Quälerei. Denn unsere Anreise ist eine Tortur fürs Autogetriebe und unsere Bandscheiben. Wir brettern mit einem Toyota Land Cruiser über schlagloch-vernarbte Pisten und Hitze und Staub trocknen uns die Kehlen aus. Und dennoch bin ich euphorisch, da heute ein langer Traum in Erfüllung geht: Ich setze meinen Fuss in die Serengeti. Seit ich als Kind den oscarprämierten Dokumentarfilm «Serengeti darf nicht sterben» vom Zoologen Bernhard Grzimek gesehen habe, will ich den berühmtesten aller Nationalparks besuchen. Nach etwa vier Stunden Fahrt vom Ngorongoro-Krater aus, vorbei an Bomas, traditionellen Massaidörfern, und Giraffen, die über die Piste trotten, taucht ein Blechdach auf, das sich wie ein verbeulter Triumphbogen aus der Ebene Nordtansanias erhebt: der Eingang zum Serengeti-Nationalpark. Ein Schild quietscht monoton im Wind und verpasst der Szenerie den Touch eines verlassenen Aussenpostens im Wilden Westen. Ein grosser Moment!
Unser Fahrer und Safari-Guide Robert klappt das Aussichtsdach auf, ich stelle mich in den Fahrtwind, die Kamera im Anschlag, denn nun erwarte ich Grosses: Tiererlebnisse galaktischen Ausmasses, Hunderttausende Gnus, Zebras und Büffel, Löwen auf der Jagd, Leoparden, die ihre Beute auf Bäume schleppen. Doch alles, was ich an unserem ersten Tag sehe, sind eine Herde Nilpferde, ein paar Krokodile, die allgegenwärtigen Impalas, eine Geparden-Familie, die vor uns über die Piste huscht, und quiekende Warzenschweine, die hässlichsten aller Savannentiere. Das soll sie also sein, die sagenumwobene Serengeti? Ich bin enttäuscht.
Das Problem sind die perfekten Bilder, die sich seit Jahren in meinen Kopf eingebrannt haben. Über keinen Nationalpark der Welt habe ich, der Tierbegeisterte, so viele Dokumentationen von National Geographic, BBC und Co. gesehen wie über die Serengeti. Nur: Die Kamerateams liegen monatelang auf der Lauer, um den perfekten Shot zu erhaschen. Und ich bilde mir ein, all das an einem Nachmittag zu erleben. Das ist nicht nur naiv, sondern fast schon arrogant. Deshalb: Wer die Serengeti besucht, sollte seine Erwartungen zuhause lassen – und dann ist diese unendliche Ebene, in der ein aussergewöhnliches Ökosystem überlebt hat und in der vor vielen Millionen Jahren der Mensch auftrat, ein atemverschlagendes Wunder.
Und gleichwohl: Eines stimmt in der Serengeti mehr als in anderen Nationalparks. Man muss zur richtigen Zeit am genau richtigen Ort sein. Denn während in anderen Schutzgebieten die Tiere weitgehend stationär leben, wie beispielsweise im nahen Tarangire-Nationalpark, den ich ein paar Tage zuvor besichtigt habe, sind die grossen Herden hier ständig in Bewegung. 1,3 Millionen Gnus, 300 000 Thomson-Gazellen, 200 000 Zebras und 15 000 Elenantilopen stapfen hier ruhelos durch die Savanne. Die sogenannte Grosse Migration ist «the greatest show on earth», das gewaltigste Spektakel der (Tier-)Welt. Auf der Suche nach frischem Gras machen sich die Herden auf einen 800 Kilometer langen Trek durch ein Gebiet, das etwa doppelt so gross ist wie der Kanton Graubünden. Über den Winter, wenn die Regenzeit den Landstrich zwischen der Serengeti und dem anschliessenden Ngorongoro-Schutzgebiet in ein grünes Paradies verwandelt, halten sich die Tiere im Süden auf. Im Frühsommer ziehen die Herden in einem weiten Bogen im Uhrzeigersinn gen Norden, wo sie sich im Sommer und im Herbst im Grenzland zwischen Kenia und Tansania tummeln. Immer im Schlepptau: Löwen, Leoparden, Geparden und Hyänen. Und wenn im Februar Hunderttausende Gnu-Babys geboren werden, beginnt das grosse Fressen. Dann gleicht die südliche Serengeti einem All-you-can-eat-Buffet für die grossen Katzen, die Geier und die Hyänen.
Mein Tipp: Februar und März, wenn der Nachwuchs geworfen wird, und Herbst, wenn die Herden den Mara-Fluss im Norden durchqueren müssen, vorbei an Tausenden Krokodilen, sind die spektakulärsten Zeiten für einen Besuch.
Bei einer mehrtägigen Safari in der Serengeti empfiehlt es sich, mehrere Standorte zu wählen. Eine Besonderheit ist das Cherero Camp im sogenannten westlichen Korridor. Das Camp, weit weg von anderen Camps gelegen, besteht aus nur vier luxuriösen Zelten – Ruhe ist hier garantiert. Abends sitzt man gemeinsam am Lagerfeuer, am Morgen wird das Frühstück ausserhalb des Essenszelts in der Ebene serviert. www.kantabileafrika.com
Wir sind Ende November unterwegs und befinden uns genau am richtigen Spot im Zentrum der Serengeti, wo derzeit die Grosse Migration durchstampfen sollte. Aber dieses Jahr ist der Zeitplan durcheinandergeraten: Die Regenzeit ist als Folge des Klimawandels seit drei Wochen überfällig. Und so sind die alten Wanderrouten nicht mehr präzise. Wo derzeit grünes Gras spriessen sollte, gleicht die Serengeti einem Stoppelfeld. Alles, was wir sehen, sind die Tiere, die sich nicht mit auf die Wanderung gemacht haben.
Es ist später Nachmittag, als wir zu unserer Unterkunft aufbrechen, einer neu eröffneten Luxus-Zelt-Lodge im Westen des Parks. Das Problem: Hier hat es zu dieser Jahreszeit kaum Tiere, was mir Guide Robert schonend beizubringen versucht (und was mir bei der Planung niemand verraten hat). Ich bin frustriert – bis wir auf die Musabi-Ebene abbiegen, auf der sich unsere Lodge befindet. Es scheint, als haben sich heute – quasi als Wiedergutmachung – alle «Resident Animals», also jene Tiere, die sich nicht mit auf den Weg gemacht haben, zu einem Stelldichein verabredet: Gnus, Zebras und Büffel grasen im Sonnenuntergang vor sich hin, Familien von Löwen beobachten das Geschehen und suchen sich schon mal ihr Znacht aus, Hyänen lungern in Erdgruben herum und eine Gruppe der grossen Elenantilopen trottet durchs Bild. Und da gerade die Coronavirus-Variante Omikron in Südafrika entdeckt wurde, haben viele Touristen auch ihre Reisen nach Tansania abgesagt: Ausser uns gibt es keinen Safari-Jeep weit und breit. Es fühlt sich an, als hätten wir die Serengeti für uns. Das ist ganz grosses Kino. Und es scheint, als seien wir die Ersten, die einen Blick auf dieses Wunder erhaschen dürfen: Die Tiere weichen scheu vor uns zurück – ein ungewöhnliches Verhalten. Normalerweise sind die Tiere so sehr an die Fahrzeuge gewöhnt, dass Löwen nicht einmal den Kopf heben, wenn man an ihnen vorbeifährt. Aber hier lässt der König der Savanne uns nicht nahe an sich herankommen. Fauchend zieht er seiner Wege. Robert erklärt: «Der Westen sieht nie viele Touristen und während der zweijährigen Pandemie gab es noch weniger. Die Tiere sind schlicht nicht an uns gewöhnt.»
Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir das Cherero Camp, das gerade mal aus vier grossen Zelten besteht – mitten in der Savanne, ohne Zaun und Schutzvorrichtungen. Nachts, wenn ich alle Jalousien aufmache und mich nur der Moskitodraht von der Wildnis trennt, höre ich Löwen brüllen und Hyänen heulen und ein permanentes Schmatzen von Büffeln, die vor meinem Zelt grasen.
Zum Sonnenaufgang gibts das Zmorge an einem edel gedeckten Tisch mitten in der weiten Ebene. In einiger Entfernung entdecke ich Schemen, die mit der aufgehenden Sonne langsam aus der Nacht treten: Die Büffel sind noch da und weiter hinten zieht eine Herde Elefanten durchs Bild. Mein Frust ist verflogen. Nun ist da nur die Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens.
Hinkommen Edelweiss Air fliegt direkt von Zürich zum Flughafen Kilimandscharo, von wo aus man schnell in der Stadt Arusha ist, dem Ausgangspunkt für die Safaris. www.flyedelweiss.com
Reinkommen Zur Einreise braucht man einen Reisepass und ein Visum, das man bei der Ankunft für 25 US-Dollar unkompliziert erwerben kann.
Buchen Unterwegs waren wir mit dem lokalen Reiseunternehmen Babji Safaris, das sich auf individuelle, luxuriöse Safaris spezialisiert hat. Eine Spezialität sind zudem Fotosafaris, für welche die Jeeps mit Stromanschlüssen ausgestattet sind, Zudem werden hochwertige Beanbags als Sitzkissen zur Verfügung gestellt. Babji Safaris ist Mitglied der tansanischen Vereinigung der Reiseveranstalter Tato. Tato garantiert Gästen, die eine Reise bei einem ihrer Mitglieder buchen, eine Absicherung: Kann der Reiseveranstalter die vereinbarte Leistung nicht erbringen, springt ein anderes Mitglied ein. www.babjisafaris.com;www.tatotz.org
Unser Reporter Christian war auch zu Besuch im unbekannten Ruaha Nationalpark, hier gehts zu seiner spannenden Reportage.